Theorie
und Geschichte der Parodie / Teil III
von Theodor
Verweyen
Inhaltsverzeichnis:
I.
Einführung und Begründung des Vorlesungsgegenstandes
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
1. „Parodie”: Geschichte der Wortverwendung
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
2. „Kontrafaktur”: Terminologische
Erneuerung eines Begriffs der Literaturgeschichte
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
3. Terminologische Entscheidungen
zu „Parodie” und „Kontrafaktur”
II.
Begriffsgeschichten und Begriff:
4. Parodie und Urheberrecht
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 1. Die pseudo-homerische „Batrachomyomachia” als Beispiel hellenistischer
Epos-Parodie
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 2. Die Parodie im Mittelalter: am Beispiel parodistischer Verarbeitungen
in Heinrich Wittenwilers „Der Ring”
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 3. „Die Dunkelmännerbriefe” („Epistolae obscurorum virorum”):
ein Beispiel humanistischer Satire und Parodie
III.
Geschichte der literarischen Parodie:
Parodistische Paradigmen ‘vor unserer
Zeit‘ / 4. Parodie und Travestie im barocken Roman: Grimmelshausens „Simplicissimus
Teutsch”
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
1. Friedrich Nicolai: „Eyn feyner
kleyner Almanach” - Parodie aus dem Geist der Aufklärung
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
2. Die Parodie als Klassik-kritisches
Mittel: am Beispiel einer Schiller-Parodie A.W. Schlegels aus der Zeit
um 1800
IV.
Geschichte der neueren deutschen Parodie:
3. Parodistische Literaturkritik im
19. und 20. Jahrhundert: von Ludwig Eichrodt bis Eckhard Henscheid
Literaturhinweise
Lenore
fuhr ums Morgenrot
Die Parodie-Sammlung der Erlanger
Liste.
1.
Die pseudo-homerische „Batrachomyomachia” als Beispiel hellenistischer
Epos-Parodie
Bevor ich die „Batrachomyomachia” als
Beispiel hellenistischer Epos-Parodie behandle, will ich kurz das zungenbrecherische
Kompositum auseinanderlegen. Es besteht aus drei Teilen, und zwar gleich
in Transkription wiedergegeben:
batrachos: Frosch
mys (Gen. myos): Maus
mache: Schlacht
a) Einführende Bemerkungen
Das komparatistische Überschreiten
der nationalliterarischen Grenzen will nicht als ein Wildern in fremden
Bezirken verstanden sein. Es ist vielmehr so, daß die lange Zeit
vorherrschende Zurückhaltung der Klassischen Philologie gegenüber
Fragen und Problemen der Rezeption der Antike die angrenzenden Philologien
dazu gezwungen hat und zwingt, den Voraussetzungen der nationalliterarischen
Entwicklungen aus Antike und Antikerezeption selber nachzugehen.
Der Konstanzer Altphilologe Manfred
Fuhrmann, einer der schärfsten Kritiker der antiquarischen Selbstbescheidung
der Altphilologie in den letzten zwei Jahrzehnten (von der Mitte der 70er
Jahre an gerechnet) hat in einer Streitschrift von 1969 – „Die Antike und
ihre Vermittler” – keineswegs bloß „Bemerkungen zur gegenwärtigen
Situation der Klassischen Philologie” gemacht. Selbst noch in beiläufig
bestätigenden Anmerkungen zu seiner Schrift klagt M. Fuhrmann an:
„Zudem hat sich die Klassische Philologie von ihren Nachbardisziplinen
abgesondert, oder richtiger: eine seit jeher bestehende Isolierung macht
sich je länger, desto drückender bemerkbar. Am wenigsten vermag
die Klassische Philologie offenbar den neueren Philologien zu helfen.”1
Man kann dieses Detail aus der Wissenschaftsgeschichte
der Altphilologie mit einem schlagenden Zeugnis aus der Rezeptionsgeschichte
der „Batrachomyomachia” bestätigen.
Diese kleine amüsante Dichtung
ist in 75 Handschriften aus der Zeit vom 10. bis zum 17. Jahrhundert überliefert.
Aus der Dichte der Überlieferung ist nicht ohne Grund auf die Beliebtheit
des Gedichtes geschlossen worden. Man hat hinzugefügt, daß wahrscheinlich
der „Froschmäusekrieg” auch das erste griechische Werk gewesen sei,
das am Ende des 15. Jahrhunderts – Venedig 1486 – gedruckt worden ist.
Ein italienischer Humanist des 17. Jahrhunderts – Jacopo Gaddi, 1658 –
meinte sogar, die „Batrachomyomachie” sei das eigentliche Meisterwerk Homers
und müsse über die „Ilias” und die „Odyssee” gestellt werden.
Helmut Ahlborn, dem wir eine feine zweisprachige Ausgabe von 1968 verdanken,
hielt diese Ansicht zwar für maßlos übertrieben, mußte
demgegenüber aber nun auch feststellen, daß sich bereits im
frühen 19. Jahrhundert in den Reihen der Philologen eine zum Teil
bis heute noch vorherrschende Geringschätzung der Dichtung breit gemacht
habe. Sie gipfelt in der letzten Ausgabe der „Bibliotheca Oxoniensis” in
der Bemerkung, der „Froschmäusekrieg” sei ein „miserum poema”, ein
„elendes Gedicht”2
. Es ist vor diesem Hintergrund abwertender Einschätzung auch nicht
verwunderlich, daß nach den Untersuchungen des 19. Jahrhunderts einerseits
und den 1959 bzw. 1968 erschienenen Arbeiten H. Ahlborns zunächst
nur noch eine nennenswerte Studie erschienen ist: die Arbeit von Hansjörg
Wölke aus dem Jahre 1978. Auch sie geht über Fragen nach der
Entstehungszeit, dem Autor, der Authentizität des Textes, der textkritischen
Philologie und dem Aufbau des Werkes kaum hinaus. Probleme textklassifizierender
Art (wie etwa: handelt es sich um eine Parodie, um eine Travestie?), Probleme
literaturinterner Funktion (wie etwa: ist die „Batrachomyomachie” ein gegen
bestimmte Prätexte gerichteter Text oder ein Homer nacheiferndes komisches
Epos?), Probleme funktionsgeschichtlicher Art (wie etwa: was würde
die Tatsache bedeuten, wenn das kleine Werk im Späthellenismus entstanden
wäre?), Probleme auch rezeptionsgeschichtlicher Art (wie etwa: in
welcher Weise geht das antike Werk in den Erwartungs- und Produktionshorizont
einer je aktualisierenden Rezeption ein?): Probleme dieser Art werden kaum
einmal einläßlicher behandelt oder konsequent diskutiert; auch
H. Ahlborn und H. Wölke haben sie eher beiläufig aufgenommen.
Von altphilologischer Seite wurden somit auch keine Versuche gemacht, etwa
den deutschen „Froschmeuseler” unter dem Aspekt der Antike-Rezeption und
der literarischen Verarbeitung zu analysieren: Georg Rollenhagens (1542-1609)
bis Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder rezipiertes und aktualisiertes
Werk gerät eben „zu einem etwas langatmigen Epos von mehreren tausend
Versen”, wie es selbst H. Ahlborn, S. 15 seiner Ausgabe, noch sagt. Mit
welchem Gewinn eine die nationalliterarischen Grenzen überschreitende,
komparatistische Literaturwissenschaft rechnen darf, zeigen Arbeiten des
Anglisten Ulrich Broich über das „komische Epos” im englischen Klassizismus
von 1680 bis 1800. Im ständigen Rückbezug auf seine antiken Vorgaben,
auf die „Batrachomyomachie” und den fragmentarisch überlieferten „Margites”,
wird das „mock-heroic poem” jenes Klassizismus in seiner Eigenart bestimmt3
. Es ist dabei allerdings die Frage, ob der „Froschmäusekrieg” „eine
Parodie der homerischen Epen (ist), die ebensowenig wie die komischen Heldengedichte
die parodierten Vorlagen verspotten will”; ob also der „Froschmäusekrieg”
wirklich nur „ein harmloses Tiermärchen” sei4
. Dies lohnt noch einmal die Prüfung.
Erst in den späten 80er Jahren
hat sich die Altphilologie daran gemacht, die neuere literaturwissenschaftliche
Parodie-Diskussion zu berücksichtigen und für die Analyse, Beschreibung
und Interpretation von komischen und komisierenden Texten, die bisher gegenüber
den kanonischen Werken der Antike in der Forschung zurückstanden,
fruchtbar zu machen. Ich nenne hier die jüngeren Altertumswissenschaftler
Wolfram Ax (mit seinen Beiträgen von 1984, 1991 und 1992), Reinhold
Glei (mit seinen Beiträgen von 1984, 1987 und 1992) sowie Marion Steudal
mit einer Arbeit von 1992. In ihren Beiträgen werden in unterschiedlicher
Dichte und Konsistenz die parodietheoretischen Ansätze der neueren
Rezeptionen des Russischen Formalismus und besonders der literaturwissenschaftlich-germanistischen
Konzepte aufgenommen. Signifikant ist dafür nicht zuletzt der Kolloquiumsband
über die „Literaturparodie in Antike und Mittelalter”, in dem Wolfram
Ax und Reinhold Glei die Beiträge einer Tagung von 1992 versammelt
haben. Der Tagungsband ist in den Literaturhinweisen angeführt, und
zwar unter dem Namen von Glenn W. Most, der nach längerem Stillstand
der Diskussion über die „Batrachomyomachia” endlich wieder einen –
leider allzu kurzen – Versuch zu diesem ebenso „gelehrten” wie „witzigen”
Werklein vorlegt: Übrigens ist der Titel seines Beitrages irreführend;
denn mit der Kennzeichnung „ernste Parodie” ist nicht die humanistische
Version der „parodia seria” wiederaufgenommen. Nach diesen Hinweisen gehe
ich zur Analyse des „Froschmäusekrieges” über.
b) Sujet, Sujetfügung und stilistische
Präsentation
„In jenen glücklichen
Zeiten, als die Tiere untereinander sich noch der menschlichen Sprache
bedienten, soll dieser große Krieg zwischen den beiden ungleichen
Tiervölkern stattgefunden haben” – so setzt etwas hintergründig
H. Ahlborn mit seiner Einführung in den „Froschmäusekrieg” ein5
. Ist Sujet der „Batrachomyomachie” also eine Begebenheit aus der Tierwelt
bzw. aus einer solchen Erzählgattung, in der Tiere zu reden pflegen
und wie Menschen sich zu verhalten wissen? „Märchen” und insbesondere
auch „Fabel” ist dieses kleine Stück Dichtung tatsächlich genannt
worden. Hält man sich an die stoffliche Basis, so besingt sie einen
‚Krieg’ zweier Tiervölker am Rande eines Teiches. Und folgender Anlaß
soll ihn ausgelöst haben: Der Mäuseprinz Psicharpax – „Krumendieb”
– trifft am Ufer eines Sees den Froschkönig Physignathos – „Pausback”
–. Die beiden halten ein Schwätzchen, am Ende lädt Physignathos
den Mäuseprinzen ein, sich doch einmal seinen Palast auf einer Insel
anzusehen: Er solle nur auf seinen, des Frosches Rücken steigen, er
sei ja des Schwimmens kundig und werde ihn sicher durch das Wasser hinübertragen.
Gesagt, getan – doch plötzlich, während Physignathos dahinrudert,
erscheint eine Wasserschlange, der Frosch in seiner Angst vor ihr taucht
unter und überläßt seinen neuen Freund schmählich
dem traurigen Schicksale des Ertrinkens; vergeblich hallt sein Schreien
über das Wasser. Doch hat ein anderer Mäuserich vom Ufer aus
den ganzen Vorgang beobachtet und meldet ihn sofort am Königshofe.
Nach kurzer Beratung wird den Fröschen der Krieg erklärt6
. Und nun nehmen die Dinge – läse man diese Geschichte als Allegorie
– ihren menschlichen, allzu menschlichen Lauf: Rüsten auf der einen,
Rüsten auf der anderen Seite; Kriegsreden zuvor hier, Kriegsreden
zuvor dort. Schlachtgetümmel, Einzelkampf ‚von Mann zu Mann’. Unerwartete
Bündnishilfe für die von Niederlage und Vernichtung bedrohte
Partei: „Da bekamen es die feigen Mäuse mit der Angst zu tun, sie
hielten nicht mehr stand und wandten sich zur Flucht. Schon ging die Sonne
unter, und der ganze eintägige Kriegszauber war aus” (Vers 301-303).
Die Wiedergabe des Sujets ist nun freilich
alles andere als genau. Das makrostrukturell wichtigste Element schon auf
der Ebene der Sujetfügung ist zumindest nachzutragen: der Parallelismus.
Dieses Mittel der stofflichen Anordnung (rhetorisch: der „dispositio”)
ist von textkonstitutiver Bedeutung bereits in der Homerischen „Ilias”
und findet – wie hier im Vorgriff gesagt sei – im Nachfolgetext der „Batrachomyomachie”
eine ebenso strikte Verwendung. Ich zeige das am Text, bei dem es sich
um eine Prosaübersetzung der griechischen Hexameter von Helmut Ahlborn
handelt:
Nach dem Prooemium (V. 1-8), auf das
ich zurückkomme, beginnt die Geschichte des ereignisreichen Tages:
„Eine durstige
Maus war der Gefahr, die ihr von einem Wiesel gedroht hatte, entgangen,
sie tauchte ihr naschhaftes Mäulchen hier in der Nähe in einen
Teich und labte sich an dem honigsüßen Wasser. Da erblickte
sie einer der quakfreudigen Sumpfbewohner und redete sie mit diesen Worten
an:”
Nach diesem epischen, aber den Gestus
des Epischen untererfüllenden, weil in den Habitus des Epyllions überführten
Eingang folgt die erste parallele Textbildung. Da führen zwei dieser
putzigen Viecher mit den sprechenden Namen Pausback und Krumendieb wahrhaft
homerische Reden: und zwar aus dem Geist der Genealogie, der Protzrede
und der Überbietungsrede. Pausback:
„Wer bist du,
guter Freund? Woher kommst du hier an den Strand? Wer ist dein Vater? Sag
mir aber in allem die Wahrheit, und laß dich nicht bei einer Lüge
ertappen. Denn wenn ich dich für würdig befinde, mein Freund
zu sein, werde ich dich bei mir zu Hause einführen und dir viele erlesene
Gastgeschenke geben. Ich bin nämlich König hier und heiße
Pausback. Ich werde hier am See in Ehren gehalten und regiere für
alle Zeiten über die Frösche. Mein Vater Schlammbert hat mich
auferzogen, in Liebe vereint mit Naßtrud an den Ufern des Eridanos.
Ich sehe ja, daß auch du ein streitbarer Held bist, mehr als andere,
ein König mit Szepter und ein tüchtiger Kämpfer im Kriege.
Also nenne mir geschwind auch deine Abkunft!”
Darauf Krumendieb nicht weniger gewichtig,
nur wollen Pathosrede, Redesituation und Sprecher auch hier nicht so recht
passen:
„Wieso fragst
du nach meiner Herkunft? Sie ist doch allen bekannt, Menschen, Göttern
und dem gefiederten Volk unter dem Himmel. Krumendieb bin ich geheißen,
ich bin ein Sohn des Brotnager, meines hochherzigen Vaters. Meine Mutter
ist Leckmühle, eine Tochter des Königs Schinkenfraß. Sie
hat mich in einer Hütte geboren und verbarg mich unter Feigen, Nüssen
und den verschiedenartigsten Leckereien, an denen ich mich laben konnte.
Wie aber willst du mich zu deinem Freunde machen, wo wir doch von Natur
aus nichts gemeinsam haben: Du führst ein Leben im Wasser, ich dagegen
bin gewohnt, dasselbe wie die Menschen zu speisen. Nicht unbekannt ist
mir dreimal gebackenes Brot aus wohlgerundetem Korbe, nicht Kuchen im weißen
Gußgewande mit viel Sesamkäse bestreut, nicht Schinkenschnitten,
nicht Leber, wenn sie in hellem Mehl gebraten ist, nicht frischgeformter
Käse von süßer Milch, nicht edler Honig, nach dem sogar
die Götter Verlangen tragen, und nichts von alledem, was die Köche
zum Mahle der Menschen zubereiten, wenn sie die Schüsseln mit den
verschiedensten Gewürzen abschmecken. Nicht speise ich Rettiche, nicht
Kohl, nicht Kürbisse, nicht nähre ich mich von grünem Lauche
und auch nicht von Eppich: Denn das ist doch eure Nahrung da im Sumpfe.”
Hinter diesem Redeparallelismus steht
– H. Ahlborn weist darauf hin – die Glaukos-Diomedes-Episode aus dem 6.
Gesang der „Ilias” (6,119-236). Zu lesen zum Vergleich sind einige Passagen
daraus; es ist selbstverständlich die Übersetzung von Johann
Heinrich Voß aus dem Jahre 1793, die zu zitieren ist:
Ilias: 6,119-236:
Glaukos nun ... [bis] ... die andern.
Es dürfte folgendes deutlich geworden
sein: die Übernahme des Redeparallelismus, die Verarbeitung des genealogischen
Schemas und die Aufnahme des Gestus der die Ebenbürtigkeit der Gegner
bestätigenden Protzrede! Hierin besteht Äquivalenz. Demgegenüber
ist in der „Batrachomyomachie” nicht aufgenommen die Redesituation
der „Ilias”, die, prinzipiell auf Entlastung im Einzelkampf angelegt, selbstverständlich
hochpathetisch ist. Im Rededuell der kleinen Tierchen ist sie auf die zufällige
Gelegenheit eines kleinen Schwatzes herunternumeriert. Die hierin zum Ausdruck
kommende Entpathetisierung wird zudem durch das Mißverhältnis
von Redeaufwand und unrühmlichen, unheldischen Sprechern unterstrichen.
Die nächste parallele Textbildung
– sie bestimmt die Darstellung der Wasserfahrt Krumendiebs auf dem Rücken
Pausbacks, des Frosches - übergehe ich, um an die dann folgende anzuknüpfen.
In doppeltem Parallelismus folgt auf die Kriegsrede Brotnagers das Rüsten
der Mäuse, auf Pausbacks Appell zum Kampf das Rüsten der Frösche.
Auch in diesem Parallelismus wird die „Ilias” aufgenommen, wobei hier besonders
die parallel geschalteten Darstellungen der Rüstungsszenen hervorzuheben
sind [vgl. Verweyen/Witting: „Walpurga”, S. 23]:
„Mit dieser Rede
brachte er sie alle dazu, sich zu rüsten: Zuerst paßten sie
sich Beinschienen an ihre Schenkel – gelbe Bohnen brachen sie dazu auseinander
und machten sie kunstvoll zurecht: Bei Nacht hatten sie sich an sie herangemacht
und sie losgenagt. Brustpanzer hatten sie aus Fellen, die mit dünnen
Halmen zusammengenäht waren – sie hatten ein Wiesel abgehäutet
und sie mit großem Geschick verfertigt. Als Schild diente der kleine,
gewölbte Lampendeckel, und die Lanze war eine schöne, lange Nadel,
Ares‘ eisernes Werkzeug. Der Helm auf dem Kopfe aber war die Schote der
Kichererbse.”
Und der genau parallel gestellte Passus
über das Rüsten der Frösche lautet [vgl. Verweyen/Witting:
„Walpurga”, S. 24]:
„Mit dieser Ansprache
brachte er sie alle dazu, sich zu rüsten: Mit Malvenblättern
umwickelten sie sich ihre Waden, Brustpanzer hatten sie aus hellgrünen
Mangoldblättern, die dafür geeignet waren. Aus Kohlblättern
machten sie sich feste Schilde, als Lanze trug ein jeder eine große
Binse, und eine kleine Muschelschale bedeckte die Köpfe. Dicht gedrängt
standen sie auf dem hohen Uferrand, sie schwangen ihre Lanzen, und ein
jeder war voll von Tatendrang.”
Folie dieser Rüstungsszenen ist
(neben anderen, verwandten ‚Einkleidungsszenen’) der Morgen des 26. Tages
des Kampfes um Troja, an dem sich Agamemnon, der oberste griechische Heerführer,
zur Schlacht ‚einkleidet’. Es ist der Beginn des 11. Gesanges in der 24
Gesänge umfassenden „Ilias”:
Ilias: 11,10-46:
Hier nun stand ... [bis] ... Mykene.
Bei einem im einzelnen durchgeführten
Vergleich der „Ilias”-Szene im 11. Gesang mit den entsprechenden Szenen
in der „Batrachomyomachie” ließen sich leicht die Äquivalenzen
feststellen: Es ist das Motiv Schlachtvorbereitung; es ist insbesondere
aber das Schema des ‚Einkleidens’ für die Schlacht, das bei der Übernahme
aus der „Ilias” weitgehend gewahrt bleibt. In den offensichtlichen, gezielt
hergestellten Übereinstimmungen mit dem Prätext der „Ilias” treten
die Form- und Funktionsunterschiede dann freilich umso sichtbarer heraus;
z. B.:
Das Schema des ‚Einkleidens’ für
die Schlacht erweist sich durch Reduktion und zugleich durch Iteration
auf engstem Raum so sehr als mechanisiert, daß es im Sinne der Russischen
Formalisten schon als bloßgelegt angesehen werden muß; d. h.
die ‚Einkleidungsszene’ in der „Batrachomyomachie” reduziert ihr Äquivalent
in der „Ilias” aufs Skelett und verdeutlicht zudem das Schema als schematisch
durch Wiederholung. Bloßlegung durch Mechanisierung ist mit Recht
„parodistisch” genannt worden und, wie nicht zuletzt die Russischen Formalisten
erkannt haben, ein besonders geeignetes Mittel der Parodie; kurz und knapp,
wenn auch pointiert gesagt: Bloßlegung von Verfahren ist Parodie!
Bloßlegung von Verfahren ist zudem in der Regel auch eine Strategie
parodistischer Übererfüllung: durch Überzeichnung der stilistischen
Manier der Vorlage!
Hinzu kommt sodann das Verfahren der
Abweichung. (Nicht jede Abweichung ist freilich parodistisch; es gibt ja,
wie Sie wissen, abweichungstheoretisch fundierte Erklärungen des literarischen
Prozesses als Evolution, Revolution, Entwicklung usw. Abweichung ist auch
nicht eo ipso parodistisch; sie wird es erst im Zusammenhang mit weiteren
Verfahren und Mitteln der Parodierung). Abweichung funktioniert nun hier
als Verstoß gegen ein konkretes Erwartungsschema. Für die Rüstungsszenen
liegt in den Homerischen Epen (vgl. unser Beispiel aus dem 11. Gesang der
„Ilias”) ein deutliches Schema vor. Auf einen allgemeinen Ankündigungsteil
folgen die Waffen in der Reihenfolge 1. Beinschienen 2. Brustpanzer 3.
Schwert 4. Schild 5. Helm 6. Wurfgeschosse. Diese Reihenfolge genügt
nicht poetischen Zwecken, sondern ist sachlich geboten: die Rüstung
wird von unten her angelegt, da bei umgekehrter Reihenfolge das Bücken
behindert würde. Die Wurfgeschosse, die der Krieger in der Hand trägt,
nimmt er zum Schluß entgegen. – Die Reihenfolge der Waffen in der
„Batrachomyomachie” ist nun unhomerisch. Dabei ist das Fehlen des Schwertes
weniger wichtig. Wichtiger ist, daß Helm und Lanze bei den Mäusen
ihren Platz vertauscht haben. Das ist nicht sachgerecht. Die Lanze in der
Hand muß beim Aufsetzen des Helms hinderlich sein. H. Wölke
hat hierin einen „Versuch eigenständiger Verbesserung Homers” sehen
wollen und ihn als „zweifellos mißraten eingeschätzt”7
. Eine hilflose Erklärung, wie mir scheint, die die Tendenz solch
umkehrender Abweichung zum Zweck der Parodierung der Vorlagen völlig
verkennt. Daß hier nämlich eine gezielte Veränderungsabsicht
vorliegt, läßt sich an der parallelen Rüstungsszene der
Frösche studieren.
Zu Bloßlegung und Abweichung
kommt ferner ein Verfahren, das ich hier versuchsweise einmal ‚Materialisierung’
nennen will. Wer die Rüstungsszene im 11. Gesang der „Ilias” noch
im Ohr hat, stellt eine Fülle rühmender Epitheta fest. An ihre
Stelle tritt in der „Batrachomyomachia”, wie schon H. Wölke beobachtete,
„eine genaue Materialbeschreibung”: gelbe Bohnen als Brustpanzer, die Schote
der Kichererbse als Helm, Malvenblätter als Beinschienen, Kohlblätter
als Schilde usw. Fraglich ist unterdessen, wie H. Wölke diesen Befund
interpretiert: den Verfasser interessierten nicht die „Vorbereitungen”
auf den Kampf, sondern „die putzigen Waffen, die er darum, abgelöst
von der Handlung, um ihrer selbst willen” beschreibe8
. Wölke verkennt hier ein wesentliches Moment parodistischer Bezugnahme:
das Moment der entpathetisierenden Untererfüllung durch Materialisierung
und darin Banalisierung des Hohen, ja des Erhabenen.
Ich breche an dieser Stelle die Beschreibung
des Sujets und seiner Präsentation ab. Vergleichbare Beobachtungen
ließen sich auch für die Kampfszenen in der „Batrachomyomachia”
machen (Vers 202ff.), wobei aus den verschiedenen Formen, die Homerische
Kampfschilderungen annehmen können, der Verfasser des „Froschmäusekriegs”
die einfachste gewählt hat: eine rasche, katalogartig angelegte Folge
von Einzelkämpfen, an die sich, deutlich abgehoben, eine (nicht ausgeführte)
Aristie anschließt. H. Wölke hat hier gegenüber Homer starken
Reduktionismus festgestellt9
, der mit dem Schema „A tötet B” operiere; er ist als parodistische
Mechanisierung zu verstehen.
Mich interessieren im Hinblick auf
die Parodie-Problematik der „Batrachomyomachia” insbesondere noch jene
Partien, die auf der Ebene der Sujetfügung deutlich herausgehoben
sind und eigene Schichten des Textes bilden. Das sind neben dem Prooemium
(V. 1-8) die Szenen der Götterversammlung (V. 168-201 und V. 270-288).
Der Text des Prooemiums zeichnet sich
vor den genannten anderen Schichten des Textes dadurch aus, daß er
nicht zur Schicht der narrativen Verkettung von Handlungen und Ereignissen
gehört, sondern die Situation des Rhapsoden selbst betrifft. Der nicht
zuletzt für die Homerische Epik kennzeichnende Musenanruf, die Invocatio,
ist auch in der „Batrachomyomachie” verarbeitet. Wie dies geschieht, ergibt
der Vergleich. Zunächst der Musenanruf der „Ilias” (Vers 1-7):
Erster
Gesang
Singe den Zorn,
o Göttin, des Pleiaden Achilleus,
Ihn, der entbrannt,
den Achaiern unnennbaren Jammern erregte
Und viel tapfere
Seelen der Heldensöhne zum Ais
Sendete, aber
sie selbst zum Raub darstellte den Hunden
Und dem Gevögel
umher. So ward Zeus‘ Wille vollendet
Seit dem Tag,
als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
Atreus‘ Sohn,
der Herrscher der Volks, und der edle Achilleus.
Ferner der Musenanruf der „Odyssee”
(Vers 1-10):
Erster
Gesang
Sage mir, Muse,
die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit
geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen
Städte gesehn und Sitte gelernt hat
Und auf dem
Meere so viel‘ unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele
zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde
rettet‘ er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten
selbst durch Missetat ihr Verderben,
Toren! welche
die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten;
siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft,
Sage hievon
auch uns ein weniges, Tochter Kronions.
Zu den beiden, gattungsspezifischen,
Invocationes stelle ich nun den Musenanruf der Parodie (Batr., Vers 1-8)
[vgl. Verweyen/Witting: „Walpurga”, S. 20]:
„Nun ich mit
meiner ersten Seite beginne, bete ich zu dem Chor vom Helikon, er möge
doch in meinem Herzen Einkehr halten, auf daß mein Gesang willige
Hörer finde – schon liegt das Buch bereit auf meinen Knien: Es berichtet
uns von dem unermeßlichen Streit, dem kriegslärmtosenden Werke
des Ares, und bitte darum, allen Menschen zu Gehör zu bringen, wie
die Mäuse in tapferem Kampfe gegen die Frösche zu Felde zogen
– wie die Sage unter den Menschen ging, ahmten sie die Werke der erdentsprossenen
Giganten nach. Und solchen Anfang hatte die Geschichte: ...”
Die Aufnahme der traditionellen „invocatio
der Musen” ist deutlich. Aber im Unterschied zu ihr ist hier im ersten
Vers nicht vom Inhalt des Gesanges die Rede, sondern von der Situation
des Singenden, „und das in ganz trivialer Weise – womit sollte er sonst
beginnen als mit der ersten ‚Seite’?” Bereits hier bietet der Vortragende
seinem Zuhörer anderes: Triviales! Bereits in dem ersten Vers beginnt
die Durchbrechung des Erwartungsschemas ‚Epos’, beginnt die Parodie10
! Durchbrechungen des Erwartungsschemas ‚epische Invocatio’ bestimmen auch
sonst die Textbildung: beispielsweise in der komischen Übertreibung,
nicht die eine Muse des epischen Gesangs, sondern gleich alle neun Musen
anzurufen; beispielsweise in der komisierenden Abweichung von der alten
Sängerbitte an die Musen, all ihre Macht auf die Entstehung seines
Gesanges zu verwenden: hier bittet sie der Parode demgegenüber nur
noch um möglichst viele Hörer; Abweichung schließlich auch
in der Profanierungsgeste, vom Heroenwerk der Mäuse und Frösche
künden und singen zu wollen.
Die parodistische Behandlung der epischen
Überlieferung setzt sich fort in den Szenen der Götterversammlung.
Strikt parallel zueinander in Beziehung gesetzt und zugleich auch binnenstrukturell
parallelisiert (Zeus-Athene-Dialog, Zeus-Ares-Dialog), verarbeiten sie
ein Motiv, das sich nicht nur quer durch das antike Epos, sondern durch
die gesamte antike Literatur zieht. 11Es
ist zu vermuten, daß dessen Parodierung nicht nur ein Motiv, sondern
eine mit und über Literatur vermittelte außerliterarische Norm
treffen soll. Man hat als unmittelbares Vorbild der Götterszenen in
der „Batrachomyomachie” den Anfang des 8. Gesanges der „Ilias” in Erwägung
gezogen:
Ilias: Vers 8,1-12ff.:
Eos im ... [bis] ... Olympos!
Batr.: Vers
168ff.:[vgl. Verweyen/Witting: „Walpurga”, S. 24]
Nun rief Zeus
die Götter im sternenreichen Himmel zusammen, zeigte ihnen die Kriegsscharen
und die vielen großen und starken Kämpfer, die da mächtige
Lanzen trugen, so ähnlich, wie wenn ein Kentauren- oder Gigantenheer
dahinzieht. Freundlich lachte er und meinte:„Wer will den Fröschen
helfen, wer den Mäusen, wenn sie in Gefahr kommen?” Und er wandte
sich an Athene: „Willst du denn nicht, meine Tochter, den Mäusen zu
Hilfe eilen? Wo sie doch andauernd allesamt in deinem Tempel umherspringen
und sich am Opferdampf und allen nur erdenklichen Speiseopfern gütlich
tun”?
Das Moment der Verkehrung in der Rede
des Zeus der „Batrachomyomachia” wäre beachtenswert, soll an dieser
Stelle aber nicht überschätzt werden. Entscheidender dürfte
hier vielmehr die Bezugnahme auf Homerische Epik, Epik allgemein und Literatur
schlechthin sein. Denn mit dieser Bezugnahme auf ein zentrales Motiv einer
literarischen Gattung ebenso wie der antiken Literatur schlechthin ist
ein besonderes Feld antithematischer Verarbeitung eröffnet. In seiner
Arbeit über die „Batrachomyomachie” hat H. Wölke die vielfältigen
Aspekte und Formen der Eposparodie und Götterburleske skizziert. Einige
Illustrationen: „Was ursprünglich [sc. in der epischen Tradition]
eine Geschichte war, die von der Macht der Götter auch im Alltäglichen
erzählt, ist nun eine Anekdote über die Hilflosigkeit der Athene”.
Oder an anderer Stelle des „Froschmäusekriegs” „ist es gerade die
kriegerische Göttin Athene, die den Kampf mit den Tierchen und ihren
Lanzen aus Spitzdisteln und Nadeln scheut. Später tritt eine erneute
Steigerung ein: Gerade der Kriegsgott Ares [...] ist es, der eingesteht,
er habe nicht etwa nur Angst, von den Tieren verwundet zu werden, vielmehr
reiche seine wie Athenes Kraft allein nicht aus, Mevidarpax [einem unansehnlichen
Mäuschen] standzuhalten; es müßten schon alle Götter
antreten”. 12Schließlich
sind es kleine Krebse, die anstelle der Götter die drohende Vernichtung
der Frösche zu verhindern vermögen – die Spitze der komischen
Überbietung!
In seiner Arbeit hat H. Wölke
den interpretativen Schluß gezogen, die „Batrachomyomachia” sei eine
Parodie – allerdings eine solche, die der Autor [unbekannt] „nicht bis
zum äußersten, bis hin zur verkehrten Welt treiben”13
wollte; ihre Wirkung sei „nicht [...] direkt gegen die Götter [ge]richtet” 14
. Diese interpretative Schlußfolgerung ist zu prüfen.
c) Datierungsfrage und Interpretationsproblem
Die Ausgabe des Textes von H. Ahlborn
zeigt eine Vielzahl kursiv gestellter Zeilen und Teile von Zeilen. Nach
einer Erläuterung des Herausgebers und Übersetzers H. Ahlborn
handelt es sich dabei um Entlehnungen aus Homer mit Zitatcharakter. Zu
den Übernahmen auf makrostruktureller Ebene treten also Entlehnungen
auf mikrostruktureller Ebene. Diese Nähe zu Homer hat nicht allein
dazu geführt, daß in „später hinzugefügten Versen”
die Homerische Nähe der „Batrachomyomachia” noch homerischer werden
sollte. Sie hat darüber hinaus auch dazu geführt, daß die
Parodie überhaupt für ein originäres Werk Homers gehalten
wurde (und zwar in der Antike selbst wie in der Klassischen Philologie
der Neuzeit).
Die in diesem Zusammenhang immer wieder
erörterte Datierungsfrage hat schließlich erbracht (und zwar
vor allem aufgrund sprachgeschichtlich-linguistischer Befunde), daß
die „Batrachomyomachia” ein späthellenistisches Werk sei (d. h. „wohl
zu Beginn der Kaiserzeit entstanden”)15
. Mit dieser wohl kaum noch zu verwerfenden Datierung des parodistischen
Werkes liegt eine Interpretation nahe, die aufs entschiedenste Kontexte
des sog. „Hellenismus” berücksichtigen muß:
„Mit dem Begriff
‚Hellenismus’ bezeichnen wir seit der Prägung des Kunstwortes durch
J.G. Droysen die Periode der griechischen Geschichte, die durch den spektakulären
Eroberungszug Alexanders des Großen eingeleitet wird, in deren Zentrum
der durch dieses Ereignis hervorgerufene tiefgreifende Strukturwandel im
politischen, sozialen und kulturellen Bereich steht, insbesondere die Konstituierung
großräumiger, von griechischer Kultur geprägter Diadochenstaaten
im Vorderen Orient, und deren Ende durch den fortschreitenden Niedergang
dieser Staaten und durch deren schließlich definitive Einverleibung
in das römische Weltreich markiert wird. Als Eckdaten der Epoche ergeben
sich so einerseits das Jahr 323 (Tod Alexanders) und andererseits das Jahr
30 v. Chr. (Auflösung des Ptolemäerreiches, des letzten nominell
verbliebenen Diadochenstaates).”16
Die Folgen dieses politischen, kulturellen
und literarischen Wandels hat Bernd Effe, den ich zitiere, unter Bezugnahme
auf eine reiche und kontroverse Forschungsliteratur beschrieben:
„Die Konzentration
der literarischen Aktivitäten auf den engeren Umkreis der höfischen
Residenzen und ihre bewußte Förderung seitens der Herrscher
haben zur Folge, daß nunmehr so etwas wie Hofpoesie entsteht und
daß überhaupt panegyrische Tendenzen an Raum gewinnen. Die Literaten
sind gehalten, sich um die Gunst des Hofes zu bemühen und, ist ihnen
diese zuteil geworden, der neuen Abhängigkeit Rechnung zu tragen.
Mit diesem Wandel geht ein Wandel des intendierten Publikums einher. Hatten
im 5. Jahrhundert Tragödie und Komödie als Institutionen der
Polis grundsätzlich die gesamte Bürgerschaft als Publikum im
Auge, so werden jetzt gerade solche Gattungen und Stilformen gepflegt,
die sich an einen sehr begrenzten, literarisch gebildeten Adressatenkreis
wenden: die griechische Oberschicht im Ambiente des Hofes. So kommt es
zu jener elitären Exklusivität, die große Teile der hellenistischen
Dichtung kennzeichnet.
Diese durch den Wandel des Funktionsrahmens
bedingte Tendenz wird noch verstärkt durch die spezifischen literarischen
Intentionen führender hellenistischer Dichter. Autoren wie etwa Kallimachos,
Theokrit und Arat stellen ihre poetische Produktion unter die Devise radikaler
Innovation und begründen damit eine neue literarische Ästhetik.
Im klaren Bewußtsein des Epochenbruchs und in der Überzeugung,
daß in einer veränderten Umwelt auch die Dichtung neue Wege
einzuschlagen habe, brechen sie mit den für obsolet gehaltenen traditonellen
literarischen Gattungen und Darstellungsweisen oder benutzen diese nur
mehr als Ausgangspunkt und Spielmaterial für eigene Experimente und
die Schaffung innovativer, zeitgemäßer Formen und Stile. Indem
sie dabei das gesamte Repertoire der vorhellenistischen‚ ‚klassischen’
Dichtung ständig als Folie und Anspielungshorizont für ihre Neuerungen
präsent halten, rechnen sie mit einem Publikum, das über die
nötigen literarischen Voraussetzungen verfügt, um das kunstvolle
In- und Gegeneinander von Tradition und Innovation nachvollziehen und der
exklusiven Ästhetik dieser Autoren gerecht werden zu können.”17
Ich denke, daß schon aufgrund
dieser wenigen Zitate klar geworden sein dürfte, daß die „Batrachomyomachia”
ein immenses Interpretationsproblem darstellt. Es handelt sich bei diesem
Text unabweisbar um eine Parodie (aufgrund unseres Explikationsvorschlages
zu „Parodie”). Aber über die mögliche Vielfalt von interpretatorischen
Zuweisungen, also Funktions- und Sinnbestimmungen des Textes, ist damit
noch nicht entschieden. Ich selbst neige dazu, anzunehmen, daß mit
der Parodierung der literarischen Vermittlungsform auch der Homerische
Götterhimmel zur Disposition gestellt werden sollte. Aber hier ergibt
sich eine Reihe von Fragen! Fragen, die auch noch nicht still gestellt
sind mit dem an sich einleuchtenden Interpretationsvorschlag von Glenn
W. Most. Dieser datiert die Redaktion des Textes in die hellenistische
Zeit und meint dann:
„Der [hier zwischen
den Mäusen und Fröschen stattfindende] Krieg war überhaupt
nicht notwendig: Nicht nur diese Tiere sind absurd, sondern auch der Krieg,
den sie führen. So gesehen ist die >Batrachomyomachia< eine Kritik
am Krieg. Aber sie ist keine Denkschrift, sondern eine literarische Parodie
und als solche nicht so sehr Kritik an einem politischen Phänomen,
sondern vielmehr an einem literarischen: dem Kriegsepos. Solche Ablehnung
von Epen, die von ‚reges et proelia’ (Vergil, Bucolica 6.3) handeln, ist
bekanntlich typisch hellenistisch.”18
Statt Homer also Hellenismus, statt
Original also Parodie! Da ich nicht Altphilologe bin, darf ich es bei dieser
Provokation gegenüber früheren Auffassungen belassen.
1
Manfred Fuhrmann: Die Antike und ihre Vermitler, Konstanz 1969 (= Konstanzer
Universitätsreden: 9), S. 38.
2
Vgl. Pseudo-Homer: Der Froschmäusekrieg. Theodoros Prodromos: Der
Katzenmäusekrieg, gr. u. dt. v. Helmut Ahlborn, Berlin 1968 (= Schriften
und Quellen der Alten Welt, Bd. 22), S. 10.
3
Ulrich Broich: Studien zum komischen Epos. Ein Beitrag zur Deutung, Typologie
und Geschichte des komischen Epos im englischen Klassizismus 1680-1800,
Tübingen 1968.
4
Ebd., S. 191. Vgl. dazu Verweyen/Witting: Die Parodie, 1979, S. 161.
5
Pseudo-Homer (Ahlborn), S. 8.
7
Hansjörg Wölke: Untersuchungen zur Batrachomyomachie, Meisenheim
am Glan 1978 (= Beiträge zur Klassischen Philologie: 100), S. 139ff.,
hier S. 141.
15
Vgl. dazu zuletzt Wölke, S. 63.
16
Herwig Görgemanns (Hrsg.): Die griechische Literatur in Text und Darstellung,
Bd. 4: Hellenismus, hrsg. v. Bernd Effe, Stuttgart 1985 (= RUB 8064), S.
9.
18
Glenn W. Most: Die Batrachomyomachia als ernste Parodie, in: Wolfram Ax
u. Reinhold F. Glei (Hrsg.), Literaturparodie in Antike und Mittelalter,
Trier 1993 (= BAC [Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium] Bd.
15), S. 27-40, hier S. 38.
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