Erlanger Liste



    Fritz Mauthner

    E. Marlitt
    Das Geheimnis der ledernen Hose

    Märchen, wenn auch noch so schlecht gelogen,
    Große Kinder bleiben ihm gewogen.


    Der Schauplatz der folgenden Geschichte, meine geliebte kleine Leserin, ist ein reizendes Heim, in einem Städtchen, welches von lauter beschränkten aber unklugen Menschen bewohnt wird.

    Der erste Strahl der Mutter Sonne trippelte eben durch das geöffnete Fensterlein in das trauliche Stübchen und setzte sich voll von der balsamischen Luft des grünen Maientags auf die Kinder des Frühlings, welche in einer köstlichen Vase aus Meißener Porzellan ihr ach! so frühes Grab fanden. Hinter den Lieblingen Floras saß die anmutige Jungfer Barbara. Tante Barbara wurde sie von aller Welt genannt, denn sie war fabelhaft alt. Sie lag eben ihrer süßen Pflicht ob, der blonden Portiuncula - Punkel wurde sie von der alten Mamsell geheißen - die bitteren Erfahrungen ihres mimosenhaften Lebens zu überliefern.

    „So wahr Gott lebt, ich bin eine Atheistin! Ich gehe sogar so weit, den Jesuitenorden mit einer Giftpflanze zu vergleichen. Doch vergiß nie, liebes Punkelchen, daß ein Weib ohne Religion ein Epheu ist ohne eine Eiche für seine Ranken. Und überhaupt - das Weib soll nicht länger die Sklavin des barbarischen Mannes sein, sie soll selbständig fühlen lernen, auf eigenen Füßen stehen und den harten Mann beherrschen. Darum, meine teure Punkel, mehr Wirtschaftsgeld! Auch wir haben Logik, auch wir haben Poesie, nämlich unsere eigene! Weißt du, was Liebe ist, mein Kind?“

    „Ein süßer Kuchen, mit dem man Störche in das Netz lockt,“ antwortete Punkel. Sie war so fabelhaft unerfahren, das liebe Kind.

    Tante Barbara versank in ihrem Stuhle in tiefes Sinnen. Mit trübem Lächeln blickte sie auf ihre eigene armselige Gestalt. Sie war nicht größer als ein zehnjähriges Kind und eine häßliche Ausbauchung entstellte die nach rückwärts gelegene, obere Partie ihres libellenhaften Körpers. In dieser entwürdigenden Hülle lebte sie schon viermal zwanzig Jahre und dennoch hoffte sie immer noch auf Gegenliebe. Freilich, der alte Fürst von Erbwall, der ihre einzige und erste Jugendliebe gewesen war, ist nun lange tot. Nach ihm aber hatte sein Sohn geblüht, ebenso fabelhaft interessant wie sein Vater, und auch ihn hatte sie geliebt, so heiß, so innig. Und dann den Enkel! Und den Urenkel! Eine unbestimmte Ahnung ergriff ihr banges Herz jedesmal, wenn sie trunkenen Auges die lederne Hose des Stammes betrachtete.

    Es wäre schwer zu entscheiden gewesen, wen die Tante Barbara heißer liebte, ob die von Erbwall oder deren erhabene Hose. Die Hose bedeutete für sie den Begriff des Eigentums. Wenn Punkel in ihrer holden Unschuld kein Verständnis für Geldfragen zeigte, so pflegte Tante Barbara sie durch einen ihrer wärmsten Leitartikel zu unterhalten und zu belehren.

    „Eigentum ist Diebstahl, besonders wenn es groß ist. Und ein deutsches Mädchen, das nicht innige Sympathie empfindet mit den edlen Märtyrergestalten der Sozialisten, beweist einen Herzensmangel, wie die Blume, die nicht gern am Busen der Hand verwelkt, die sie gebrochen hat. Teilung alles Eigentums, welch ein großer Gedanke! Natürlich muß die Mitgift unangetastet bleiben und der Wäscheschrank! 0 süßes Punkelchen, über den Wäscheschrank kann man die Fragen der Menschheit vergessen. Und die lederne Hose ist ein ebenso heiliges Mysterium. Denn sie gehört eigentlich in den Wäscheschrank, wenn sie auch von Leder ist!“

    Auch heute wieder fragte Punkel nach dem Geheimnis der ledernen Hose. Tante Barbara aber verriet kein Wort. Warum sollte sie auch den ernsten Mann vernichten, der ihr so wert war?

    Als Punkel die alte Dame verließ, um leicht wie eine Elfe in die zerbrochene Dachrinne zurückzukehren, welche sie mit ihrem kleinen Brüderchen bewohnte, hüpfte sie fröhlich unter den Riesen des Waldes, dessen befiederte Sänger ihr durcheinander ihre schönsten Morgen- und Abendlieder widmeten. Plötzlich stand ein schlanker Herr der Schöpfung neben ihr. Es war der regierende Fürst von Erbwall. Sein schönes, ahnungsvoll lederfarbenes Antlitz war von einer tiefschwarzen Zierde des Mannes prächtig eingerahmt. Ein hoher Ernst, den nur rohe Naturen den Ausdruck der Langeweile nennen konnten, blickte aus seinen blauen Spiegeln der Seele. Sein Aeußeres war so rauh, daß sich das echt weibliche Gefühl Punkels bei seinem Nahen in sich selber zusammenzog, wie empfindsame Pflanzen bei einer unsanften Erschütterung. Und doch fühlte Punkel in seiner Nähe ein gewisses Etwas. War es Zorn? War es Liebe? Sie hätte ihm die schönen Augen auskratzen mögen, nur um ihn berühren zu dürfen.

    In ihrer herzbestrickenden Naivietät begnügte sie sich damit, ihre schöngeschwungenen Lippen zu öffnen und mit schelmischem Gelächter eine reizende rosenfarbene Zunge ihm entgegenzuzücken, während zwei höchst anmutige Grübchen den Liebreiz der jungen Dame wesentlich erhöhten.

    Der Fürst errötete bis unter den Kragen über den Trotz des Mädchens und stampfte so kräftig auf den weichen Lehmboden des Thüringer Waldes, daß sein rechter Fuß tief einsank und der Fürst ihn nicht gleich wieder hinauszureißen vermochte. Da eilte Punkel husch husch hinzu, selig, dem Verhaßten einen kleinen Dienst leisten zu können. Aber der Fürst, zu stolz, um etwas von der Feindin anzunehmen, stieß sie von sich und brachte mit äußerster Anstrengung den Fuß mit Zurücklassung seiner Bekleidung heraus. Ein Stück Lehm traf hierbei heftig ihren Sitz der Gedanken, so daß ein wenig des besonderen Saftes über den Sammet ihrer Schläfen quoll und auf ihren schneeigen Nacken köstlich niederträufelte. Doch sie achtete nicht darauf. Der Fürst hatte es wohl gesehen, doch hinkte er verlegen fort.

    Schamhaft erhob Punkel ihre Spiegel der Seele von des Fürsten rechtem Fuße, der jetzt nur noch von einem wollenen Gewirke vor ihren neugierigen Blicken geschützt war, und bemerkte dabei, daß eine vor Alter hellglänzende Lederhose die angemessenen Teile seines stattlichen, elastischen Körpers bedeckte. Wer ihr hätte sagen können, was diese ehrwürdige Hose - doch meine geliebte kleine Leserin wird sich ja gewiß bis zum Ende gedulden.

    Am nächsten Tage lagen die beiden, natürlich jedes für sich, in einem hitzigen Fieber. Dr. Klotz, der geholt wurde, nannte sie eine alberne Gans, welche mit kindischen Manieren die Altklugheit einer Gouvernante verbände, ihn einen tyrannischen Gecken, wie er nur älteren unverheirateten Damen gefallen könnte. Denn Dr. Klotz war ein wahrheitsliebender Mensch und kurierte mit Grobheit.

    Die Bäume setzen mehrere Jahresringe an, während das Verhältnis zwischen dem Fürsten und Punkel also fortdauerte. Eines Tages aber, als Punkel mit Tante Barbara unter den herrlichen Kronen des grünen Tempels der Natur die Düfte eines leichten Zephyrs einsaugte, sprengte auf einem fabelhaft schwarzen Rappen der Fürst daher. Als das herrliche, zum Tragen eines Reiters geschaffene Tier Tante Barbara und ihren das Schönheitsgefühl arg verletzenden Leibesfehler erblickte, bäumte es sich. Die alte Barbara entfloh, Punkel aber eilte dem Fürsten zu Hilfe, der eben in einem aristokratischen Kreisbogen vom Rücken des Rappen auf den natürlichen Teppich der Erde niederfiel.

    „Wo haben Sie sich verletzt, Sie?“ fragte Punkel unhöflich mit zitternder Stimme, welche deutlich ihren Mut und ihre Liebe verriet.

    „Nein“, antwortete im ersten Trotze rauh der Fürst, der jetzt auf der rechten Seite lag. Doch bald siegte Mutter Natur und mit herzberückender Stimme stöhnte er: „Au, ein spitzer Stein!“

    Punkel trat hinter ihn, um die Wunde zu untersuchen. Ein scharfer Stein mußte die lederne Hose zerschnitten haben, denn etwas Helles schimmerte hindurch.

    „Es blutet nicht, Sie!“ sagte Punkel.

    Der Fürst wollte die verhängnisvolle Stelle mit seiner edel geformten Linken bedecken. Doch Punkel ließ nicht ab zu bitten, bis der Fürst eine nähere Untersuchung zuließ.

    „Ich vertraue dir viel, Mädchen!“ flüsterte er mit seiner tiefen, melodischen Stimme. „Es ist die Erbhose unseres Geschlechtes, welche den Nachkommen seit unserem Urahn stets auf die Seele gebunden ward, und welche auch ich hoffe, einst einem männlichen Säugling auf die Seele zu binden, wenn die gütigen Störche mir einen solchen gewähren.“

    Punkel ging an die Arbeit. Er nahm eine anmutige Lage an, in welcher die verwundete Erbhose den klaffenden Riß dem Auge des Himmels zuwenden konnte. Sie setzte sich hinter den ruhig kauernden Helden ins Gras nieder und näherte ihre zarte Hand der Erbhose derer von Erbwall. Doch wer beschreibt ihr Entsetzen, als sie ein schauerliches Geheimnis hinter dem schlichten Gewande entdeckte.

    Die lederne Hose hatte eine doppelte Wand. Die Innenseiten des aus unverwüstlicher Büffelhaut bereiteten Leders waren zu Pergament verarbeitet, und als nun Punkel mit zitternden Fingern in den Riß hineinfaßte und den äußeren Boden auseinanderklappte, da sah sie auf dem Pergamente des inneren Hosenbodens mit den festen Zügen eines Raubritters aus dem 15.Jahrhundert das Testament des Ahnherrn derer von Erbwall niedergeschrieben. Da stand es klar und deutlich, daß die Nachkommen bis auf den jetzt regierenden Fürsten von einem Wechselstorche gebracht waren, und daß niemand als Punkel die richtige und berufene Erbin des ganzen Vermögens, die Herrin von und zu Erbwall sei.

    „Was haben Sie?“ fragte der Fürst.

    „Nichts, Durchlaucht,“ antwortete Punkel.

    Nein, er sollte nie etwas von diesem Testament erfahren! Was machte sie sich aus dem Fürstentitel und einigen MiIlionen schnöden Mammons? Wenn er nur mächtig und angesehen dastand wie eine Pappel, dann wollte sie gem wie eine verachtete Butterblume verwelken. Sie holte darum Nadel und Zwirn hervor und nähte den Riß in der ledernen Hose zu. Wie sie hoffte für immer.

    Als der Fürst sich des Abends in seine drei Schlafzimmer zurückgezogen und der Kammerdiener ihn entkleidet hatte, nahm Erbwall mit ärgerlicher Zärtlichkeit die Erbhose in die Hand und betrachtete lange mit glühender Leidenschaft das Symbol seines Stammes, das durch die Berührung von Punkels Hand neuen Wert erlangt hatte. Dann drückte er einen warmen Kuß auf die kaum vernarbte Stelle. Nicht genug daran, er zog den ach! so süßen Faden, der die Naht zusammenhielt, heraus, um ihn an seinem pochenden Herzen zu verwahren; und es klaffte plötzlich wieder schrecklich die Wunde der Hose und das schauerliche Geheimnis.

    Da erkannte der Fürst, daß die liebliche Mädchenknospe ihn mit allen Fasern ihres größten Muskels liebte, daß sie ihn nur aus Liebe ärgerte, wie er sie, und schnurstracks ging er zu ihr.

    Sie schlief schon in der Dachrinne, in welcher sie wohnte. Ein drohender Regenguß hätte sie in diesem Augenblick eben beinahe mitleidlos herabgeschwemmt. Aber der Fürst schwang sich wie ein Turner von Fenster zu Fenster, bis er sie erreichte und die Erschreckte als sein Fräulein Braut an seine männliche Brust drückte.

    * * *

    Meine Leserin möchte gewiß gern erfahren, was aus den anderen geworden ist, die wir in dieser Erzählung liebgewonnen haben.
    Tante Barbara wurde immer älter und erfahrener.
    Der fabelhaft schwarze Rappe bekam, als er blind und schwach geworden war, von seinem gütigen Herrn das Gnadenbrot.
    Die zerbrochene Dachrinne wurde frisch lackiert.
    Und die lederne Hose? Lange Zeit gab es zwischen den Glücklichen einen edlen Wettstreit, wer von ihnen die Herrschaft und die Erbhose antreten sollte.
    Ich überlasse die Entscheidung meiner kleinen Leserin. Wer soll die Hosen anhaben?


    Parodie auf die außerordentlich erfolgreichen Trivialromane der Eugenie Marlitt (= E. John, 1825 - 1887).
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