Märchen, wenn auch noch so schlecht gelogen,
Große Kinder bleiben ihm gewogen.
Der Schauplatz der folgenden Geschichte, meine geliebte kleine Leserin, ist ein
reizendes Heim, in einem Städtchen, welches von lauter beschränkten
aber unklugen Menschen bewohnt wird.
Der erste Strahl der Mutter Sonne trippelte eben durch das geöffnete
Fensterlein in das trauliche Stübchen und setzte sich voll von der
balsamischen Luft des grünen Maientags auf die Kinder des Frühlings,
welche in einer köstlichen Vase aus Meißener Porzellan ihr ach! so
frühes Grab fanden. Hinter den Lieblingen Floras saß die anmutige
Jungfer Barbara. Tante Barbara wurde sie von aller Welt genannt, denn sie war
fabelhaft alt. Sie lag eben ihrer süßen Pflicht ob, der blonden
Portiuncula - Punkel wurde sie von der alten Mamsell geheißen - die
bitteren Erfahrungen ihres mimosenhaften Lebens zu überliefern.
So wahr Gott lebt, ich bin eine Atheistin! Ich gehe sogar so weit, den
Jesuitenorden mit einer Giftpflanze zu vergleichen. Doch vergiß nie,
liebes Punkelchen, daß ein Weib ohne Religion ein Epheu ist ohne eine
Eiche für seine Ranken. Und überhaupt - das Weib soll nicht
länger die Sklavin des barbarischen Mannes sein, sie soll selbständig
fühlen lernen, auf eigenen Füßen stehen und den harten Mann
beherrschen. Darum, meine teure Punkel, mehr Wirtschaftsgeld! Auch wir haben
Logik, auch wir haben Poesie, nämlich unsere eigene! Weißt du, was
Liebe ist, mein Kind?
Ein süßer Kuchen, mit dem man Störche in das Netz
lockt, antwortete Punkel. Sie war so fabelhaft unerfahren, das liebe
Kind.
Tante Barbara versank in ihrem Stuhle in tiefes Sinnen. Mit trübem
Lächeln blickte sie auf ihre eigene armselige Gestalt. Sie war nicht
größer als ein zehnjähriges Kind und eine häßliche
Ausbauchung entstellte die nach rückwärts gelegene, obere Partie
ihres libellenhaften Körpers. In dieser entwürdigenden Hülle
lebte sie schon viermal zwanzig Jahre und dennoch hoffte sie immer noch auf
Gegenliebe. Freilich, der alte Fürst von Erbwall, der ihre einzige und
erste Jugendliebe gewesen war, ist nun lange tot. Nach ihm aber hatte sein
Sohn geblüht, ebenso fabelhaft interessant wie sein Vater, und auch ihn
hatte sie geliebt, so heiß, so innig. Und dann den Enkel! Und den
Urenkel! Eine unbestimmte Ahnung ergriff ihr banges Herz jedesmal, wenn sie
trunkenen Auges die lederne Hose des Stammes betrachtete.
Es wäre schwer zu entscheiden gewesen, wen die Tante Barbara heißer
liebte, ob die von Erbwall oder deren erhabene Hose. Die Hose bedeutete
für sie den Begriff des Eigentums. Wenn Punkel in ihrer holden Unschuld
kein Verständnis für Geldfragen zeigte, so pflegte Tante Barbara sie
durch einen ihrer wärmsten Leitartikel zu unterhalten und zu belehren.
Eigentum ist Diebstahl, besonders wenn es groß ist. Und ein
deutsches Mädchen, das nicht innige Sympathie empfindet mit den edlen
Märtyrergestalten der Sozialisten, beweist einen Herzensmangel, wie die
Blume, die nicht gern am Busen der Hand verwelkt, die sie gebrochen hat.
Teilung alles Eigentums, welch ein großer Gedanke! Natürlich
muß die Mitgift unangetastet bleiben und der Wäscheschrank! 0
süßes Punkelchen, über den Wäscheschrank kann man die
Fragen der Menschheit vergessen. Und die lederne Hose ist ein ebenso heiliges
Mysterium. Denn sie gehört eigentlich in den Wäscheschrank, wenn sie
auch von Leder ist!
Auch heute wieder fragte Punkel nach dem Geheimnis der ledernen Hose. Tante
Barbara aber verriet kein Wort. Warum sollte sie auch den ernsten Mann
vernichten, der ihr so wert war?
Als Punkel die alte Dame verließ, um leicht wie eine Elfe in die
zerbrochene Dachrinne zurückzukehren, welche sie mit ihrem kleinen
Brüderchen bewohnte, hüpfte sie fröhlich unter den Riesen des
Waldes, dessen befiederte Sänger ihr durcheinander ihre schönsten
Morgen- und Abendlieder widmeten. Plötzlich stand ein schlanker Herr der
Schöpfung neben ihr. Es war der regierende Fürst von Erbwall. Sein
schönes, ahnungsvoll lederfarbenes Antlitz war von einer tiefschwarzen
Zierde des Mannes prächtig eingerahmt. Ein hoher Ernst, den nur rohe
Naturen den Ausdruck der Langeweile nennen konnten, blickte aus seinen blauen
Spiegeln der Seele. Sein Aeußeres war so rauh, daß sich das echt
weibliche Gefühl Punkels bei seinem Nahen in sich selber zusammenzog, wie
empfindsame Pflanzen bei einer unsanften Erschütterung. Und doch
fühlte Punkel in seiner Nähe ein gewisses Etwas. War es Zorn? War es
Liebe? Sie hätte ihm die schönen Augen auskratzen mögen, nur um
ihn berühren zu dürfen.
In ihrer herzbestrickenden Naivietät begnügte sie sich damit, ihre
schöngeschwungenen Lippen zu öffnen und mit schelmischem
Gelächter eine reizende rosenfarbene Zunge ihm entgegenzuzücken,
während zwei höchst anmutige Grübchen den Liebreiz der jungen
Dame wesentlich erhöhten.
Der Fürst errötete bis unter den Kragen über den Trotz des
Mädchens und stampfte so kräftig auf den weichen Lehmboden des
Thüringer Waldes, daß sein rechter Fuß tief einsank und der
Fürst ihn nicht gleich wieder hinauszureißen vermochte. Da eilte
Punkel husch husch hinzu, selig, dem Verhaßten einen kleinen Dienst
leisten zu können. Aber der Fürst, zu stolz, um etwas von der
Feindin anzunehmen, stieß sie von sich und brachte mit
äußerster Anstrengung den Fuß mit Zurücklassung seiner
Bekleidung heraus. Ein Stück Lehm traf hierbei heftig ihren Sitz der
Gedanken, so daß ein wenig des besonderen Saftes über den Sammet
ihrer Schläfen quoll und auf ihren schneeigen Nacken köstlich
niederträufelte. Doch sie achtete nicht darauf. Der Fürst hatte es
wohl gesehen, doch hinkte er verlegen fort.
Schamhaft erhob Punkel ihre Spiegel der Seele von des Fürsten rechtem
Fuße, der jetzt nur noch von einem wollenen Gewirke vor ihren neugierigen
Blicken geschützt war, und bemerkte dabei, daß eine vor Alter
hellglänzende Lederhose die angemessenen Teile seines stattlichen,
elastischen Körpers bedeckte. Wer ihr hätte sagen können, was
diese ehrwürdige Hose - doch meine geliebte kleine Leserin wird sich ja
gewiß bis zum Ende gedulden.
Am nächsten Tage lagen die beiden, natürlich jedes für sich, in
einem hitzigen Fieber. Dr. Klotz, der geholt wurde, nannte sie eine alberne
Gans, welche mit kindischen Manieren die Altklugheit einer Gouvernante
verbände, ihn einen tyrannischen Gecken, wie er nur älteren
unverheirateten Damen gefallen könnte. Denn Dr. Klotz war ein
wahrheitsliebender Mensch und kurierte mit Grobheit.
Die Bäume setzen mehrere Jahresringe an, während das Verhältnis
zwischen dem Fürsten und Punkel also fortdauerte. Eines Tages aber, als
Punkel mit Tante Barbara unter den herrlichen Kronen des grünen Tempels
der Natur die Düfte eines leichten Zephyrs einsaugte, sprengte auf einem
fabelhaft schwarzen Rappen der Fürst daher. Als das herrliche, zum Tragen
eines Reiters geschaffene Tier Tante Barbara und ihren das
Schönheitsgefühl arg verletzenden Leibesfehler erblickte, bäumte
es sich. Die alte Barbara entfloh, Punkel aber eilte dem Fürsten zu
Hilfe, der eben in einem aristokratischen Kreisbogen vom Rücken des Rappen
auf den natürlichen Teppich der Erde niederfiel.
Wo haben Sie sich verletzt, Sie? fragte Punkel unhöflich mit
zitternder Stimme, welche deutlich ihren Mut und ihre Liebe verriet.
Nein, antwortete im ersten Trotze rauh der Fürst, der jetzt
auf der rechten Seite lag. Doch bald siegte Mutter Natur und mit
herzberückender Stimme stöhnte er: Au, ein spitzer Stein!
Punkel trat hinter ihn, um die Wunde zu untersuchen. Ein scharfer Stein
mußte die lederne Hose zerschnitten haben, denn etwas Helles schimmerte
hindurch.
Es blutet nicht, Sie! sagte Punkel.
Der Fürst wollte die verhängnisvolle Stelle mit seiner edel
geformten Linken bedecken. Doch Punkel ließ nicht ab zu bitten, bis der
Fürst eine nähere Untersuchung zuließ.
Ich vertraue dir viel, Mädchen! flüsterte er mit seiner
tiefen, melodischen Stimme. Es ist die Erbhose unseres Geschlechtes,
welche den Nachkommen seit unserem Urahn stets auf die Seele gebunden ward, und
welche auch ich hoffe, einst einem männlichen Säugling auf die Seele
zu binden, wenn die gütigen Störche mir einen solchen
gewähren.
Punkel ging an die Arbeit. Er nahm eine anmutige Lage an, in welcher die
verwundete Erbhose den klaffenden Riß dem Auge des Himmels zuwenden
konnte. Sie setzte sich hinter den ruhig kauernden Helden ins Gras nieder und
näherte ihre zarte Hand der Erbhose derer von Erbwall. Doch wer
beschreibt ihr Entsetzen, als sie ein schauerliches Geheimnis hinter dem
schlichten Gewande entdeckte.
Die lederne Hose hatte eine doppelte Wand. Die Innenseiten des aus
unverwüstlicher Büffelhaut bereiteten Leders waren zu Pergament
verarbeitet, und als nun Punkel mit zitternden Fingern in den Riß
hineinfaßte und den äußeren Boden auseinanderklappte, da sah
sie auf dem Pergamente des inneren Hosenbodens mit den festen Zügen eines
Raubritters aus dem 15.Jahrhundert das Testament des Ahnherrn derer von Erbwall
niedergeschrieben. Da stand es klar und deutlich, daß die Nachkommen bis
auf den jetzt regierenden Fürsten von einem Wechselstorche gebracht waren,
und daß niemand als Punkel die richtige und berufene Erbin des ganzen
Vermögens, die Herrin von und zu Erbwall sei.
Was haben Sie? fragte der Fürst.
Nichts, Durchlaucht, antwortete Punkel.
Nein, er sollte nie etwas von diesem Testament erfahren! Was machte sie sich
aus dem Fürstentitel und einigen MiIlionen schnöden Mammons? Wenn
er
nur mächtig und angesehen dastand wie eine Pappel, dann wollte sie gem
wie eine verachtete Butterblume verwelken. Sie holte darum Nadel und Zwirn
hervor und nähte den Riß in der ledernen Hose zu. Wie sie hoffte
für immer.
Als der Fürst sich des Abends in seine drei Schlafzimmer
zurückgezogen und der Kammerdiener ihn entkleidet hatte, nahm Erbwall mit
ärgerlicher Zärtlichkeit die Erbhose in die Hand und betrachtete
lange mit glühender Leidenschaft das Symbol seines Stammes, das durch die
Berührung von Punkels Hand neuen Wert erlangt hatte. Dann drückte er
einen warmen Kuß auf die kaum vernarbte Stelle. Nicht genug daran, er
zog den ach! so süßen Faden, der die Naht zusammenhielt, heraus, um
ihn an seinem pochenden Herzen zu verwahren; und es klaffte plötzlich
wieder schrecklich die Wunde der Hose und das schauerliche Geheimnis.
Da erkannte der Fürst, daß die liebliche Mädchenknospe ihn mit
allen Fasern ihres größten Muskels liebte, daß sie ihn nur aus
Liebe ärgerte, wie er sie, und schnurstracks ging er zu ihr.
Sie schlief schon in der Dachrinne, in welcher sie wohnte. Ein drohender
Regenguß hätte sie in diesem Augenblick eben beinahe mitleidlos
herabgeschwemmt. Aber der Fürst schwang sich wie ein Turner von Fenster
zu Fenster, bis er sie erreichte und die Erschreckte als sein Fräulein
Braut an seine männliche Brust drückte.
* * *
Meine Leserin möchte gewiß gern erfahren, was aus den anderen
geworden ist, die wir in dieser Erzählung liebgewonnen haben.
Tante Barbara wurde immer älter und erfahrener.
Der fabelhaft schwarze Rappe bekam, als er blind und schwach geworden war, von
seinem gütigen Herrn das Gnadenbrot.
Die zerbrochene Dachrinne wurde frisch lackiert.
Und die lederne Hose? Lange Zeit gab es zwischen den Glücklichen einen
edlen Wettstreit, wer von ihnen die Herrschaft und die Erbhose antreten sollte.
Ich überlasse die Entscheidung meiner kleinen Leserin. Wer soll die
Hosen anhaben?
Parodie auf die außerordentlich erfolgreichen Trivialromane der Eugenie
Marlitt (= E. John, 1825 - 1887).
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