Erlanger Liste



      Dieter Höss

      Aus ...an ihren Dramen sollt
      ihr sie erkennen.



      Lessing
      Emilia Galotti

      oder
      Die Kunst Jungfrau zu bleiben

      Heute soll die Hochzeit sein?
      Prinz Hettore hört's verdrossen
      und zum Äußersten entschlossen;
      denn er ist in sie verschossen und
      ein absolutes Schwein.

      Auf der Fahrt zum Traukirchlein
      wird der Bräutigam erschossen,
      wird die Braut, wiewohl verdrossen,
      in sein Lustschloß eingeschlossen,
      und schon denkt er: Sie ist mein!

      Doch Emilia bleibt rein,
      und ihr Leib bleibt ungenossen,
      unberührt von Fürstenflossen;
      denn Papa naht pflichtentschlossen
      und ersticht das Töchterlein.


      Goethe
      Götz von Berlichingen

      oder
      Das bessere Ende

      Der eine ist zu frauentoll
      und liebt je mehr, je lieber.
      Der andre zu vertrauensvoll
      dem einen gegenüber.

      Der eine wird lieb Kind bei Hof
      und macht im Bett Karriere.
      Dem andern ist der Hof zu doof
      und wider seine Ehre.

      Der eine übt in Schmeichelei'n
      sich und im Speichellecken.
      Der andre lädt sie alle ein,
      ihn seinerseits zu lecken.

      Dem einen bricht ein Weib den Hals,
      und solche Schmach ist bitter.
      Der andre stirbt zwar ebenfalls,
      doch stolz, als edler Ritter.


      Schiller
      Kabale und Liebe

      oder
      Wenn drei dasselbe tun,

      so ist es nicht dasselbe

      Ihr Vater ist ein Musikant,
      der seine ist ein Mann von Stand,
      und das ist wirklich schade;
      denn darum enden auch am Schluß
      die Liebe und der Kunstgenuß
      bei Gift in Limonade.


      Kleist
      Der Prinz von Homburg

      oder
      Ordnung muß sein

      Erst hat er nix wie Sex im Kopf
      und hört nicht richtig hin,
      und dann riskiert der tumbe Tropf
      den Sieg bei Fehrbellin.

      Daß er die Schlacht trotzdem gewinnt,
      ist für's Prinzip ganz schnuppe;
      denn wenn bereits ein Prinz so spinnt,
      was macht dann erst die Truppe?!

      Am Ende sieht er dies auch ein
      als Mann von reinem Adel
      und kriegt dafür das Töchterlein
      nebst einem kleinen Tadel.


      Hauptmann
      Die Weber

      oder
      Wo gehungert wird, fallen Zähne

      Naturalistisch ist der Stil.
      Der Dichter ist voll Mitgefühl.

      Er läßt verhungern seine Weber.
      Doch Schuld bekommt der Arbeitgeber.

      Zerschlagen läßt er dessen Möbel.
      Doch Recht gibt er dem armen Pöbel.

      Auch üble Lieder läßt er brüllen.
      Doch selber singt er mit im stillen.

      Noch mehr als die soziale Klage
      tritt das rein Menschliche zutage:

      Ein Junge, 14 Jahre kaum,
      macht schlapp im Lieferantenraum.

      Ein Weber schlachtet seinen Köter,
      verschlingt ihn und erbricht ihn später.

      Und Hirse, fromm und unverdrossen,
      tut gar nichts — und wird doch erschossen.


    Weiss
    Die Verfolgung und
    Ermordung Jean Paul Marats
    dargestellt durch die Schauspieltruppe des
    Hospizes zu Charenton unter Anleitung
    des Herrn de Sade

    oder
    so ähnlich

      Die Irren gehn auf ihre Plätze:
      Der Hauptdarsteller hat die Krätze.
      Die Mörderin ist schlummersüchtig
      und spurt deswegen nicht so richtig.
      Ihren Geliebten stellt ein netter
      Erotomane auf die Bretter,
      und die Partie des Priesters Roux
      fällt einem Tobsüchtigen zu.
      Die übrigen Idioten trotten
      als Jakobiner, Sansculotten
      oder Statisten teils herum,
      teils bilden sie das Publikum.
      Den Regisseur mimt der Marquis,
      doch spinnt auch dieser irgendwie,
      hält immer wieder den Verlauf
      der Weltgeschichte dadurch auf,
      daß er noch mit Marat drum ficht,
      wer recht gehabt hat und wer nicht.
      Derweil sind die Idioten schon
      begeistert von Napoleon.

Beispiele aus den fünfzig Travestien bekannter Dramen, die Höss nach Art eines Theaterführers angeordnet hat.
Quelle: ...an ihren Dramen sollt ihr sie erkennen. 50 starke Stücke, Frankfurt/M 1967.

© Dieter Höss. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Jede Vervielfältigung dieser Texte ohne Erlaubnis des Autors ist untersagt!

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