Erlanger Liste



Karl Hoche

Heinrich Böll (>Ansichten eines Clowns<):

Die Hochzeitsreise

Die Ankunft vollzog sich nach der dem Reisen innewohnenden Automatik, Waggontür auf, Waggonstufen 'runter, Bahnsteigsperre, Koffer auf, Tasche 'raus, Tasche auf, Fahrkarte 'raus, Tasche zu, Tasche 'rein, Koffer zu, aus dem Bahnhof 'raus, Bahnhoftreppe 'runter, ein Taxi, Hotel 'rein, Lift 'rauf, Koffer 'runter, Zimmertür.

Ich schaute Grete an. Ich dachte an alles, was wir miteinander getan hatten, ich und Grete, Mann und Frau, ich dachte daran, wie sie war und wie ich war und wie es war als wir zusammen das taten, was Männer und Frauen miteinander tun. »Vorehelicher Geschlechtsverkehr« nennen es die Katholiken und machen dabei ein so angeekeltes Gesicht als sagten sie »moderne Literatur«. Wie kann man »vorehelichen Geschlechtsverkehr« nennen, was in Wirklichkeit Gretes Bewegungen, ihre Stimme, ihre Brust, ihre Hände sind. Katholiken können sich das nur »in der Ehe« vorstellen. Wenn sie daran denken, werden sie kitschig und nennen es »Liebe«. Aber für einen, der nicht der faden Süßlichkeit dieser Brüder verfallen ist, für mich also, bleibt »es« die Sache, die Männer und Frauen miteinander tun. Das ist vielleicht unromantisch. So wie ich eben gemacht bin, für Grete gemacht bin. Und sie ist für mich gemacht. Nur mit ihr kann ich es tun. Diese Katholiken verstehe ich nicht. Die können es mit jeder tun. Falls sie mit ihr »verheiratet« sind. Bevor sie heiraten, sublimieren sie »es« mit »Fußball«, so nennen sie dieses Spiel ja wohl, um die »fleischlichen Gelüste« in sich »abzutöten«, als ob ihnen »damit« irgendwie »geholfen« wäre.

Was tun ein Mann und eine Frau, die füreinander gemacht sind, wenn sie miteinander in einem abschließbaren Raum sind? Sie tun miteinander das, was Männer und Frauen miteinander tun. Jetzt war sie meine Frau. Irgendwelche kirchlichen und staatlichen Behörden hatten sich gemüßigt gefühlt, mir das »schriftlich zu bestätigen«. Ich brauchte das nicht, fand es aber gar nicht so übel. Denn seit wir »diese Sache« das erste Mal getan hatten, war sie meine Frau. Das hatten wir die ganze Zeit gewußt, wenn wir es miteinander taten und auch in den Zeiten, wo wir nicht miteinander taten, was wir sonst miteinander taten.

Als ich jetzt tun wollte, was ich mit ihr tun wollte, konnte ich es nicht tun. »Ich habe es mir schon gedacht«, sagte Grete. Mich erstaunte das nicht. Sie ist schon so lange meine Frau, sie war mir von irgendetwas, das »Schicksal« heißen mag, vorherbestimmt, sie kennt mich. Ich legte mich »an ihre Seite«.

»Warum hast du es dir gedacht? Weißt du den Grund?«

Sie war ganz ruhig. »Ich kann ihn mir denken. Schau, du hast dich so daran gewöhnt, daß wir jedesmal, wenn wir es als Unverheiratete tun, der Katholischen Kirche einen Tort antun, so daß dir jetzt was Wesentliches fehlt. Wenn die Kirche nichts mehr dagegen hat, dann kannst du es einfach nicht mehr tun, deine Potenz ist eben anti-ekklesiastisch.«

Ich sah an mir herunter. Wenn meine Männlichkeit und die Stärke der Kirche wirklich so eng zusammenhingen, wie Grete meinte, dann stand es jetzt um die Kirche sehr schlecht.

Ich stammelte: »Ja, aber wir sind doch Mann und Weib. Ich meine, wir möchten es miteinander tun.« Sollen wir denn, dachte ich, nie wieder tun können, was wir tun möchten, nur weil die Kirche mal nachgibt, vielleicht so eine der Enzykliken - so nennen das diese Katholiken wohl, warum haben sie nur so scheußliche Wörter, damit wollen sie wohl ihre »Katholizität« beweisen, oder wie das heißt in ihren Büchern - zurückzieht, sich liberalisiert. Ich kann mich doch von der »Kirche« oder wie sie das nennen, nicht impotent machen lassen. Wo bleibt denn da das sogenannte »christliche Gewissen« dieser hauptberuflichen Religionsdiener. Denen ist alles zuzutrauen. Ich weinte.

Wie immer wußte ich auch in diesem Augenblick, daß da meine Frau sprach. »Du bist ein Kleinbürger...«

»Ja, ich bin ein Kleinbürger«, schrie ich. »Meine Mama hatte keinen jour fixe, saß an keinem Kamin und ich hatte auch keinen Bruder, der immerfort einen Mazurka von Chopin spielte. So sieht es doch bei Großbürgern aus, oder? Ich bin nun mal ein Kleinbürger, was ist daran so schlimm?«

»Garnichts ist daran schlimm, davon gibt es genug. Und weil du einer bist, deshalb kannst du dich an mir auch nur reiben, wie sich Männer und Frauen aneinander reiben, wenn du dich gleichzeitig an einer mächtigen Institution reiben kannst, das heißt, wenn du nebenher ein bißchen raunzen darfst. Sollte die Kirche >nachgeben<, dann mußt du dir eben andere Gegner suchen.«

»Ich kann mich nicht so schnell umstellen. Ich kann mich überhaupt nicht umstellen. Zum Beispiel kann ich es nur mit dir tun, das weißt du doch. Und jetzt nicht einmal mit dir. Ich kann von der Katholischen Kirche nicht weg, durch sie leb ich, mit ihr sterb ich, durch sie leid ich in alle Ewigkeit. Ich kann sie nicht lassen.«

Grete lächelte. »Aber sieh sie dir doch an, deine Kirche. Sie ist doch noch recht kräftig. Was hat sich denn geändert? Denk an den Papst, die Pillen-Enzyklika! Das muß dich doch bestärken...«

Sie konnte nicht weitersprechen. Wir taten jetzt nämlich wieder miteinander, was Männer und Frauen miteinander tun. Dabei weinte ich die ganze Zeit. »Das« werden diese Katholiken nie »verstehen«.


Die Parodie auf Heinrich Bölls Roman »Ansichten eines Clowns« (1963) ist ein Beispiel aus der Serie »Kann man heute noch Romane schreiben? Zehn bekannte Autoren schufen den Roman 'Hans und Grete'«.
Quelle: Karl Hoche, Schreibmaschinentypen und andere Parodien, München 1972.

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung Karl Hoches. Jede Vervielfältigung dieses Textes ohne Einwilligung des Autors ist untersagt!

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