Erlanger Liste



Hanns von Gumppenberg

AM BRUNNEN

Fahl erhöht zu gesprenkeltem Hochschuß
Morgenrötet das Steigrohr,
Krummausröhrend in bleigrauer Demut.
Schläfrig schleimig ranzt der Trog,
Moosbesaugt, schwärzlich brummend.
Fischblau strudelt das Erdblut,
Braun verqualmend
Zwischen grünen Giftküssen
Lila bröckelnder Moderkrumen.
Weiches Sonnengelb glimmt flüsternd
Auf dürr verzweifeltem Schmachten
Und silberner Tränennässe.
Goldblaurot röchelnde Perlen
Singen und lachen im Tropftod.
Ahnungslos heiße Schneesterne
Geigen Honig entgegen.
Weinrot schluchzt eine Gänseblume -
Stahlkühl schweigt der Sickergrund.

nach Maximilian Dauthendey (erste Periode)




IN DER BIBLIOTHEK

Es kauern Herzen dort im Bücherspinde,
Verweint, verschwollen, dann in bleicher Weißglut
Des Leids gedorrt .. ach ja - ich wollte lesen!
Ich hol' mir so ein Herz. Es bricht und platzt
Hier auf dem Tisch - verstocktes und verstaubtes
Urväterblut verstreut sich auf die Platte,
Wie einer hundertjährigen Blutwurst Füllung,
Wie dunkelroter Schnupftabak. Die Luft
Wächst eng - ich ginge lieber. Doch da hockt
Ein gelbverschrumpfter alter Schmöker, bohrt
Pupillenleer mich an, und drosselt mich!
Er möchte, daß ich eine Träne träufle -
Und alle Kauerherzen in den Spinden,
Sie möchten, daß ich endlich Tränen träufle.

nach Maximilian Dauthendey




GENESUNG

Nein.
Es ist nichts.
Auch dies.
Auch dies -
Und dies.
Nichts ..
Gar nichts!
Verpaffter Rauch -
Rauch..
Asche.

Eins nur - eins!
Du.
Dich.
Dich so sehen!
So! Ganz so!
Ja.

Und heute -
Heute ..
Da sah ich dich -
Dich..
So -
Ganz so..
Dich .....
Oh !!
Und
Mein
Verstand
Stand
Still.
......
Still.
......
Ganz still.

nach Arno Holz




VORTRAG

Ich singe ihnen meine Lieder vor,
Den Herzen aus Speckstein und Nagelfluh.

Der Blüthnerflügel
Vergießt Tränenströme,
Mein Herz schluchzt mit,
Das ganze Parkett wird naß.

Meine Stirn' bohrt sich in die Tasten,
Ich schau' nicht um:
Denn da hinten hocken
Lackierte Ölgötzen:
Rauchtopasaugen,
Iltiszähne,
Igelohren,
Aber doppelknöpfige Handschuhe.

Ich spiele forte,
Crescendo,
Fortissimo -
Sie müssen!
Zuletzt schrei' ich, spring' auf,
Würge, übergebe mich.

Da liegt's,
Blutrotzuckend,
Ein laatschiger, quatschiger Matsch -
Mein Herz!!
- Ich lächle betreten.

Die Ölgötzen klatschen ein bißchen

Sie warten noch immer.

Ich würge weiter -
Würge, würge...
'raus!
Aber es kommt nichts mehr.

nach Arno Holz




DER TOTE

In meinem Grab
Stinkt längst ein Andrer.
Ich bin nur mehr
Eine Nasenwurzel;
Durch meine Löcher scheint der Mond,
Das tut weh,
Noch mehr als der And're.

Wanderer, hast du keine Zigarette für mich?

- Wenn ich wenigstens noch niesen könnte!


nach Robert Reß (Arno Holz-Schule)



DIE VERSILBERUNG

Mein Hirn ist draußen auf dem Meer
Im nassen Wind auf dem Segelschiff.
Wasser, Wasser.
Es planscht.
Ein Mummelgreis hinkt über die Gasse.
Er will zu mir.
Ich hör' ihn tapern auf der Stiege -
Möven hacken sich Futter
Von seinem Scheitel.

Es klopft. Er kommt.

Ich schlottre im braunen Mantel.

Er schüttelt mir die Hand.

Ich nicke. Er hustet.

Die Schiffsglocke bimmelt.

Es regnet Platz in Südsüdwest.

Der Tapergreis quetscht meine Daumen,
Einen nach dem andern,
Und horcht in mein Antlitz -
Sein Auge stochert in dem meinen,
Und findet den Menschen nicht -
Ein fauler Fisch
Hebt schleimigblau
Sein Moderhaupt aus dem Schlamm -
Die Möven kreischen durchs Gemach
Und suchen Futter auch auf meinem Scheitel...
- Als ich erwachte, seufzte tief das Meer
Und stierte nach dem Mond. Bei mir im Boot
Saß bockstarrsteif der Tapergreis,
Doch silbern jetzt, mit einem Silberhelm
Auf seinem Haupt - der Möven wegen?

Ich griff nach ihm, und griff in leere Luft.
Doch hatt' es abgefärbt,
Denn meine Hand, sie war versilbert
Wie eine Weihnachtsflitternuß.
Ich sprach: Du bist so silberkalt,
In Silberadern rinnt dein Silberblut
Und keiner Möve gibst du Nahrung mehr -
Im Silbermondlicht wohnst du hier,
Du Silberner, und hast nichts, hoffst nichts, willst nichts
Als nur dein Silber!

Er sprach: Du bist so schauderhaft,
So göttlich scheußlich und abscheulich,
Ganz ekliche Geburtswehn nur - dein Antlitz
Zerschmettert und verkohlt von Gier und Wahnsinn -
Du wohnst in Abendlandschaft, überschüttet
Von schmutzigem Schotter und von Riesenspinnen.
Von Regenwürmern und von Kellerasseln -
Du bist verrückt, du Göttlicher - du lebst!
Versilbert mußt du werden!

- Und zärtlich ward der Greisgeist, fiel mir jäh
Auf meine Brust, und färbte mir die Nase
Mit Silberküssen, und ich fühlte hart
Den Silberhelm die Stirne mir halbieren.

nach Alfred Mombert




JÜXENDER JUX IM STYX

Seltsame Sterne sah ich glänzen
Gußeisenfarbne mit Sehnsuchtsschwänzen -
O mein Hyazinthentraum!
Vom Erkenntnisbaum
Kicherte spottgut die Blüte,
Weil ich verglühte;
Mondvater meckert' im Vollbackenschein..
Da fiel es mir ein:

Gramjahrzehnte zuckte ich hin,
Schnurrte zurück und starb zurück,
Jubellahm
Im Blütenkeusch
Am zitternden Maientag,
Im Weltgeräusch
Ohne Lied,
Jedes Glied
Eine irrgewordene Lilie
Aus guter Familie!
Aber nun kam,
Was in wiegenden Trosten mich tragen mag!
Die Syrinx lacht -
Es kracht durch die Nacht
Mein Geschrei
Wie brüllende Ozeane!
Du Satan aller Satane,
Herbei!
Schaukle mich frei
Auf dem Ätherei,
Preß' mich an deine brandige Brust -
Du mußt!

Mein Leben saust nach allen Seiten -
Wie süßer Südwind weht aus den Weiten
Der betäubende Duft
Von deinem sündigen Munde..
Die Stunde
Ruft!
Komm' zu mir her,
Du mit der flatternden Lippen Begehr,
Du mit dem zackigen Augenbrau,
Hol' dir die Frau!
Komm'! ich bin nicht mehr töricht -
Komm' ins Geröhricht!
Wo die Faunsaugen grinsen,
Binden wir uns mit Binsen
Aneinander,
Mein Alexander!
Will nimmer entfliehen meinwärts -
Du Auswärts werde mein Einwärts!
Laß mich nicht heiß erfrieren
In meinen Urwaldgieren -
An deinen Zeusbart knüpf' ich mich an,
Mann!
Meine Seele knurrt wie ein hungriger Hund -
Tritt sie gesund!
Liebe mich endlos
Und sakramentlos!
Meine Arme umlodern dich -
Mit Flammenstich
Dolchen auf dich meine Brüste!
All' meine bösen Lüste,
Rote Wildkatze,
Springen aus mir
Mit Krallentatzen
Und beißen nach dir!
Meine Dürste mit Wutkraftglut
Egeln sich ein in dein girrendes Blut.
Soll ich ersticken im Feuerdunst?
Lösch' meine Feuersbrunst
Mitten im Styx -
Jüx!!

nach Else Lasker-Schüler




DICHTERS AUFSTIEG

Finsteres Gestrüpp von Därmen
Labyrinth von Schimmelwald
Rasenden Geschwüren Mittelpunkt
Zu knospener Schlingung facht sich auf!
Von rosenem Flaum betan
Wiehernd er tanzt mit lichten Pferden
Zu Flöte süßestem Spiel,
Selig-gleitend er Gott fängt ein und Sternen-Raum!

Töst Gewitter,
Stinkicht aufquillt Gewalt!
Borstig-jäh Patriarch
Gabel stößt in Salat,
Schiebt an Faust:
Gestauter Welt den Zünder
Ab er stürzt in Spülichtschlamm!
Aus geschwollener Pferdkindaugen Köcher
Spritzeln Tränen auf Nägel zerkaute ..
- - -
Aber Höll Tumult zerfaucht,
Gestirn enttaucht,
Sonne platzt -
An Fenster Frühjahrsregen kratzt!
Geysirs blühen Blut..
O, gut!!
Sich das Aug ein Periskop rundschraubt,
Ausstück ausgeleiertes nimmer glaubt!
Denn -! die Menschheit ist verrückt,
Längs und quer - und! - mittendurch zerstückt!
Bogenes Streicheln schwül spült an -
Blickgriff grast von Mädchen in Straßenbahn!
Mystisch Kurven Parabeln Hyperbeln Gefug!
Übertriefend er schmilzt vor solcher Bug,
Klamm geleimt an trübes Geklett ..
Schnurrbart spritzt rechts und links gleich Bajonett!
Mary! Cafè der Topf, aus dem lächelnd sie sprießt!
Nacht zerrauscht an ihr. Mondschwamm fließt.
Sterne purzeln tönend in Schoßes Schacht ..
Grandioses Vieh!! Und ich!! Haßpestgeheul er lacht.
- Der Engel ihm dann vom Zigarettenladen.
Franziska! Basalten stoßen deren Waden.
Solid - o Eiter, tief! - von Bürgerbausch umringt ..
Von Reisauflauf ein Ruch ihn ganz bedringt.
Jungfrau von Orléans unsere!! Überzückt...
Ein Akquisiteur wälzt stumpfen Bauch an, pflückt!

Aufkreischt Zerbeulter. Rückflüchtet er.
Schnurrbart seiner spritzt rechts und links nicht mehr.
Zerschmeißt er des Geschlechtes Sklaverei -
Balanzierend faltet die Kerker entzwei!
Das Gestirn er senkt in aufgestemmte Brust,
Ab er hobelt verkohlten Leibes Krust!
Entreinigend, Dichter, du dich scheuerst,
Heros von Europa! ungeheuerst!!
Riesenhorn du - Plakat! - durchstichst Finsternis,
Rings Völker brausen in nächstes Paradies!
Ja -! deß Gesang die Massenlöcher schürt,
Erkennet ihn groß! ihn - Geist!! - es ihm gebührt!

nach Johannes Becher




MONDNACHT

Mondnacht, du silberflietschiger Kitsch -
Ich bin alkoholisch erregt..
O verflucht!
Und der Stiefel des ewigen Juden knarrt fortwährend da vor mir,
Quarr-quietsch, quarr-quietsch!

Der Mond rundwund verwest
Wie gespieene Milch,
Girrgirr bischt ..
O verflucht!
Und der Stiefel des ewigen Juden knarrt fortwährend da vor mir,
Quarr-quietsch, quarr-quietsch!

Ich fistle in ursachlosen Träumen,

Jihi diridih!
Doch die Irrenanstalt schnarcht traumios,
Und der Stiefel des ewigen Juden knarrt fortwährend da vor mir,
Quarr-quietsch - o verflucht!!
Brücken wackeln mit ihren Buckeln, Laternen nicken und knicken,
Klirrklick klagerack..
O verflucht!
Und der Stiefel des ewigen Juden -
- Hick!

Mein Blick
Fängt ein besoffenes Vieh -
Diridih!
Hu-ah gurrgurrgurr
Bischt - platsch!
Ich gehe, hitsch, hatsch -
Und der Stiefel des ewigen Juden -
- Hack!

So 'n Pack!
Auf der Terrasse
Überm verwesten Milchkanal
Sitzt Fischamsofa*), meine Geliebte ..
Unter taumelnden Sterntrapezen
Frißt sie Bretzen
Und säuft Sekt
Ganz verrucht -
O verreckt,
O verflucht,
Schluck auf Schluck -
Huck!!
Und zwanzig Onkels sind bei ihr,
Patschen ihre milchig verwesten Mondkniee,
die wundrunden..
Pitsch patsch,
Pitschel patsch,
Pitschi pitschi patschelpatsch!
Olga Fischamsofa,
Lasest du Casanova?
Schunkelst du mit den Schenkeln?
Munkelst du mit den Önkeln??
Hick! Hack! Huck!
Heck!!
O verflucht -
Jetzt lieg' ich im Dreck!!
Und der Stiefel des ewigen Juden vollführt auf meinem
Nabel einen Niggertanz.

*) Oder heißt sie Nischanova? Ich weiß es nicht mehr genau.

nach George Grosz




DAS NORDMORDLICHT

Nun will ich den Gehalt zusammenklammern,
Urrundwucht wickelt jetzt Euch aus den Wicken -
Morastig angelackt an Lasterkammern
Entwetz' ich mich zu Weltenwohlgeschicken!

Ich war im Heu Geheule meiner Fäule,
Doch glastet schon die Pfahlbaupfingstenpfunzel,
Daß ich feilgeile Gäule nun zerkeule
Und mein Kaumtraumbaum sich in mir verrunzel'!

Die Herzreimleiern klappt Kunzkunst so bitter,
Vernunftverdumpfter Wichte Knacksgeknaster -
Aus Schmerzschleimschleiern wabbt Brunstdunstgewitter,
Keilt den Koloßklotzklops aufs Wackelpflaster!

Ra, Ra, Fatum, furchtbares Flammenentstammen,
Dein Finger jetzt verpriestert das Empfundne -
Trarah-Datum, lurchbares Mammenwammen,
Nicht mehr verbiesterst Du das Rhythmischverbundne!

Ihr Augenzwinkerhaufen, Nackenmauer,
Spinndick bespickt mit gelben Giftfurunkeln,
Wie schwul ich Euch umschwirr auf Zunderlauer,
Verrät ein Schrumpfruck - Schnuppen fühlt Ihr funkeln!

Ihr Sündermünder, ekle Morchelohren,
Ihr Unzuchthähne trüber Fieberbiber,
Ihr Spuk von Speichel vor den Höllentoren,
Nun würgt den Froschfrohgang ein Erdverschieber!

Du Schlenderschleudern der Geschlechtsgefechte,
Verkrampft zum Satansplastiksteinsymbole -
Aus Deinem Thau der Techtelmechtelnächte
Bleichblicke blinzeln, tiefe, schrecklich hohle!

Ihr Katzenklumpen und Ihr Riesenschweine,
In Blumungsgluthen sollt Ihr Euch verbuntern -
Ich sammle Euch, zerstreute Menschenbeine,
Ob hundert Flundern sich in Flandern wundern!

Mit Angstschweiß, Sphinxe, sollt Ihr Euch befeuchten
Keuchst Du, Kaukasier, schmarotzerroter?
Ins Tropfsteinloch die Kletterblitze leuchten -
Fluchtsucht des Fleisches, und Tumulte Todter!

Ich, der vom Weib sich gänzlich ausgespalten,
Handpalmen schäl' ich aus Manschettenschaften
Und fächle Euch mit Feuerfauchgewalten,
Ich Nordlichturgeist! mögt Ihr mich verkraften!

nach Theodor Däubler




DAS OADELWOASS

O Berg - euch liab' ich allezoat,
Ja selbscht im Winta, wenn es schnoat!
Ich grüaß' den roanen Sunnenschoan,
Und stoag' ins stoale G'wänd hinoan:
Da wer'n miar wohl die Woadel hoaß,
Doch grüaßt mich z'letzt oan Oadelwoaß,
Oan Oadelwoaß!

O Liad, gediachtet still dahoam,
Wie g'froat von diar mich jeda Roam!
Jetzt kling' von Berg zu Bergen woat,
Zum Proas der Alpenherrlichkoat!
Und singt dich d'Senn'rin hoch am Oas,
Dann bist auch du oan Oadelwoaß,
Oan Oadelwoaß!

nach einer "oberbairischen" Dialektdichterin



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