Wolfgang Buhl
THOMAS MANN
DER ERWÄHLTE
Mannigfache Wege gehen die Menschen. Wer
sie verfolgt und vergleicht, wird wunderliche
Figuren entstehen sehen.
Wunder über Wunder freilich erst recht - sed credemi, kristlicher
Leser, quia absurdum - wie er, eben der Schrumpfapfel also, will sagen:
er, der eh einem Schrumpfapfel glich denn einem Zweifuß, Gatte, Sohn,
Neffe und, wäre der Schwieger just so lebendig gewest wie sein
Tochterfreier,
Enkel und Ohm im gleichen Sündensturz, eben jener, von dem hier die
Rede ist, Gregorjus nämlich, geschrieben auch Gregorius, nicht unrichtig
auch Gregoryus, was im Altertum wurzelt, mit einem Wort: kein anderer als
der Held unserer Geschichte, wie er, sage ich, in ganz erstaunlicher Sühne
gedörrt zur Größe der Gansleber, sich, ein verkehrter Tithonos,
ex abrupto und ganz sonderlich wandelte in ein remetamorphorisches Rätsel,
das, wär ein solch selten Ding je von einem Gehirne zu fassen, wohl
mancher Scharfgeist und Zoologicus als sehr harte Nuß würde
bezeichnen.
Kaum nämlich war er auf das harrende Schifflein gebracht worden,
der Anker gelichtet und ein lustiger oder auch luftiger mane-sinistra-turris,
soll meinen: ein flinker Frühlingssturm (ei der Daus, welch neckisch
Schäckervokabelwindspielchen) in die Segel geflogen, daß sie
blabbten und knarrzten auf ganz wilde Art, kaum war auch ein Disput aufgekommen
zwischen Sextus Anicius Probus und Herrn Liberius, den ehrwürdigen
Nuntiis, die der Reisegesellschaft vorstanden, da verlangte er mit heller,
vom struppigen Haarwuchs, der seine heilige Winzigkeit in circuitu
schwärzte,
kaum hörbar gedämpfter Rede nach leiblicher Atzung, welches
Bedürfnis
seit auf den Tag genau siebenzehn Sommern ihn zum erstenmal rührte.
Wer beschreibt also die Lust und freudige Sorgfalt, mit der sie ihm knusprige
Spezereien reichten, gebacken Geflügel, Pasteten und Trauben, einen
schäumenden Trank dazu, Würzbier, gegoren aus Malz, Gerste und
Nägelein, - wer beschreibet dies alles, frage ich, er sei denn ein Maler,
Sänger, Musiker gar oder Poet, des ich mich nimmer erdreisten möchte?
Platterdings aber wäre es untreu, ganz zu verschweigen, daß
er sich's schmecken ließ, schnatzte, schmarrlte und schratzte, wobei
er ein zierliches Schluckwerkzeug, nicht größer als ein rosiger
Zwirn, recht listig zu brauchen wußte - noch unverzeihlicher freilich,
in etwa der Feder nicht zu vertraun, daß ihm die leckere Speise sichtlich
gedieh und anschlug, ein schüchtiges Bauchränzlein zunächst
höchst ergötzlich und anmutig wölbte, item Hand, Arm und
Fuß und schließlich den Leib ganz wunderbar in die Länge
streckte, im organischen Stile anfangs, Zoll für Zoll, bis zum Vers,
Spann, Knie der römischen Herrn heliotropistisch aufwachsend, dann
aber - en avant - bei jedem Schluck oder Biß Elle um Elle
emporsprießend,
ste il und beängstigend, noch größer werdend vielleicht
als er wirklich ward in den Augen derer, die ihn als Zwerg kürzlich
ergriffen, immer mehr sich dehnend und auseinandstreckend wie ein Ziehbalg,
als müsse die Jahre des Schrumpfens in selber oder gar halber Minutenzahl
doppelt und dreifach er aus der Welt schaffen, kurz und de integro sich
sammelnd und wieder aufhimmeln von einer merkwürdigen Creatur in
die andere schlüpfend sans comparaison, zuerst zu Füßen,
nun zu Häupten alles Lebendigen, ein rechter self-made man, meine ich,
will heißen: einer, der durch eigene Kraft von unten her aufsteigt
über alle Verstandesgrenzen hinaus - am unverzeihlichsten und
verwerflichsten
aber zum dritten, wievielten und letzten endlich (ich bitte Atem holen
zu dürfen), mit dem Wichtigsten, ja dem Eigentlichsten, um nicht zu
sagen Inhärentesten unserer Erzählung länger hinterm Berge
zu halten, war doch das härene Hemdlein, in dem er einst seine
Blöße
geborgen, vom Zahne der Zeit längst benagt und, wiewohl Herr Liberius
durch ein geistlich Pluviale ihm das Ärgste samariterlich lindern
half, die Zeit abzusehen, da er es ausgewachsen und fürderhin schutzlos,
ja in puris naturalibus gar, unfüglichen Blicken würde ausgesetzt
sein.
In coena Domini, heiliger Mann, rief in solch bedrohlicher Lage
Tiberius
erschrocken aus seinem Schnauz, wohin strebet Ihr?
In infinitum, mon petit chou, ward ihm zu zwielichtiger, doch
gelehrsamer
Antwort, in majorem Dei gloriam.
O papae, warf sich der Frager, kein Ende absehend, da erneut
dreistlich
und unwirsch ins Mittel, o Sainteté, Heiliger eiliger Vater, Papa
sancta, um Christi marterlicher Wunden willen - quousque tandem?
Aber über ihm blieb es still. Ein Glück also, wird man mir
einräumen, daß eine freundliche Brise das Schifflein und seine
flatternde Fracht, will sagen: den heiligen Hemdenmatz aus unserem Gesichtskreis
führte, vermag doch niemand zu wissen oder auch nur zu ahnen, wie
das Abenteuer für kristliche Zeugen wäre weiter verlaufen,
während
ein jeder hinwiederum, der ihm bis dahin folgte, zum guten Ende einen
schelmischen
Scheideblick noch auf den Hohen Schiffsgast wird werfen und ihm wünschen
mag - Wind, Wetter und sein minniges Negligé lassen es angeraten
erscheinen - was das zappelnde Fähnlein hoch droben am Mastbaumspitz
kündet:
Pleib xund!
Parodie auf Thomas Manns Roman "Der Erwählte" (1951).
© Wolfgang Buhl. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung
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