Inhaltsverzeichnis: 1. Brunnengedicht und Dinggedicht 2. Martin Opitz: "Vom Wolffesbrunnen bey Heidelberg" 3. Conrad Ferdinand Meyer: "Der römische Brunnen" 4. Rainer Maria Rilke: "Römische Fontäne" 5. Drei Brunnengedichte im Vergleich 6. Glossar 7. Sekundärliteratur |
Wem 'Lyrik' gleichbedeutend ist mit dem Ausdruck von
Subjektivem oder Stimmungshaftem, der dürfte zunächst
eher befremdet sein über drei Gedichte, die sich primär
der scheinbar bloßen Beschreibung eines Brunnens widmen.
Zwar gehört der Brunnen zum gängigen Inventar
romantischer Lyrik; er rauscht durch die Gedichte Eichendorffs
oder Brentanos, er plaudert von der schönen alten Zeit oder
steht gleich neben dem wohl bekanntesten Lindenbaum. Doch bei
Opitz, bei Meyer und bei Rilke rückt nun ein ganz
bestimmter, konkreter Brunnen ins Zentrum des Gedichts, und
dieses stellt seinen Gegenstand zum Teil mit solcher Akribie dar,
daß es gerechtfertigt erscheint, hier von einem besonderen
Gedichttyp zu sprechen, dem 'Dinggedicht'.
Der Terminus 'Dinggedicht' wurde 1926 von Kurt Oppert
eingeführt, und die Brunnengedichte Meyers und Rilkes etwa
galten ihm als exemplarische Vertreter der Gattung. Der Begriff
hat sich, obwohl nicht ganz unproblematisch1, in der
Literaturwissenschaft eingebürgert; und während er
zunächst - mit wenigen Ausnahmen - nur auf die Lyrik Rilkes
bezogen wurde, hat die Komparatistik mittlerweile auf
vergleichbare Entwicklungen etwa in der französischen und
der anglo-amerikanischen Literatur hingewiesen.2
Unter 'Dinggedicht' versteht man ein "Gedicht, das intensiv
wahrgenommene Gegenstände der äußeren
Wirklichkeit wiedergibt", genauer einen in "der frühen
Moderne entstandene[n], objektbezogene[n] Typus des Gedichts, das
einen Gegenstand unter Reduktion des Ichbezugs der lyrischen
Aussage und Verzicht auf explizite subjektive Deutung in seiner
Dinglichkeit darstellt. [...] Das Dinggedicht steht in der
Spannung zwischen Objekt- und Subjektbezug, zwischen
Gegenstandstreue und imaginativer Sicht, zwischen realistischer
und symbolischer Darstellung."3
Als Schöpfer des Dinggedichts gilt Rainer Maria Rilke, zu
seinen Vorläufern zählen neben Conrad Ferdinand Meyer
und Eduard Mörike ("Auf eine Lampe") die französischen
"Parnassiens" und Symbolisten.4 Das Brunnensonett von
Martin Opitz ist hingegen nicht als "Dinggedicht" anzusprechen,
wenngleich auch hier ein lebloses Objekt dargestellt wird und
alles explizit Subjektive zurücktritt. Doch in der Art der
Wahrnehmung, Darstellung und Deutung des Gegenstandes
unterscheidet sich Opitz von Meyer und Rilke. Sein Brunnengedicht
gehört in einen völlig anderen dichtungsgeschichtlichen
Zusammenhang, der im folgenden skizziert werden soll.
Im Wald östlich von Heidelberg besaß Kurfürst
Friedrich V. von der Pfalz (1596 - 1632) ein
Lustschlößchen. Dort befand sich auch der
Wolfsbrunnen. Vermutlich schrieb Martin Opitz sein Gedicht
über diesen Naturbrunnen zwischen Juni 1619 und Oktober
1620, als er in Heidelberg studierte.5 In dieser Zeit war der
junge Schlesier zugleich als Hauslehrer des pfälzischen
Oberrates Georg Michael Lingelsheim beschäftigt. Durch den
ehemaligen Erzieher des Kurfürsten wuchs Opitz in die
politischen Zusammenhänge Heidelbergs hinein. Nachdem
Friedrich V. durch die protestantischen Stände zum
König von Böhmen gewählt worden war,
unterstützte ihn Opitz in der Hoffnung, der Kurfürst
könne die Vorherrschaft der Habsburger brechen - eine
Hoffnung, die mit der Niederlage in der Schlacht am Weißen
Berg bald ihr Ende finden sollte. Über Lingelsheim kam Opitz
auch in Kontakt mit dem Heidelberger Dichterkreis um Julius
Wilhelm Zincgref. Zincgref war es dann, der das
Wolfsbrunnen-Gedicht erstmals publizierte, und zwar in der
Straßburger Ausgabe von Opitz' "Teutschen Poemata", einer
Sammlung, die Zincgref 1624 ohne Einwilligung des Dichters
veröffentlichte.6 Opitz, der inzwischen mit seinem
"Buch von der Deutschen Poeterey" hervorgetreten war,
bemühte sich, das Gedicht für die achtbändige
Musterausgabe seiner Gedichte (1625) den strengen Regeln seiner
Poetik anzupassen, und brachte eine Reihe metrischer Korrekturen
an.7 Diese Neufassung behielt er bis zur
Ausgabe letzter Hand der "Weltlichen Poemata" (1638 - 44)
bei.
Schlägt man das siebte Buch von Opitz' "Deutschen Poemata"
(1625) auf, so findet man das Wolfsbrunnen-Gedicht als Nummer
drei, nach den Sonetten "An diß Buch" und an den "Thurn zu
Straßburg" und vor den Sonetten an den "Queckbrunnen zum
Buntzlaw in Schlesien", "An der Liebsten Vaterland", "An einen
Berg" und "An die Bienen". "Vom Wolffesbrunnen bey Heidelberg"
steht damit in einer Reihe von Gedichten, in denen Martin Opitz
auf die in der neulateinischen Dichtung weit verbreitete Form der
Anredelyrik zurückgreift, mit der Personen,
Naturerscheinungen oder Gegenstände (z. B. eben ein Brunnen)
angesprochen werden. Bei den Neulateinern, etwa dem eine
Generation vor Opitz in Heidelberg wirkenden Paul Melissus
Schede, ist die Anrede häufig mit Preis und Lob verbunden.8 Damit ist ein zweiter
Traditionszusammenhang benannt, in den sich das
Wolfsbrunnengedicht einfügt: Als Quellenlob steht es
in der Folge antiker und frühneuzeitlicher
Brunnengedichte.9 Eine der bekanntesten Rühmungen
eines Brunnens findet sich in der neunten Ode aus Pierre de
Ronsards "Second Livre des Odes".10 Opitz beginnt sein
Quellenlob wie Ronsard mit der Anrufung des Brunnens, beide
führen die "Nymphe" im topischen Bildrepertoire, und beide
bezeichnen ihren Gegenstand metaphorisch als "Prinzen" bzw.
"Prinzessin".11 Der Vergleich mit dem
französischen Renaissance-Dichterfürsten verdeutlicht
einmal mehr, daß Opitz und die deutsche Literatur des 17.
Jahrhunderts in einen gesamteuropäischen Zusammenhang
gehören, der auch die lateinischen Dichtung umfaßt.
Das Wolfsbrunnen-Gedicht ist in hohem Maß
konventionalisiertes Sprechen im Kontext der "imitatio veterum",
der Nachahmung mustergültiger antiker oder
frühneuzeitlicher Vorbilder.
Formal greift Opitz auf das Sonett zurück, das durch
Petrarca in der frühneuzeitlichen Literatur etabliert und
durch die französische Pléiade vermittelt worden war.
Opitz folgt dabei dem Schema, das er in seiner Poetik empfiehlt
und das sich wiederum an Ronsard orientiert: 14 Verse mit dem
Reimschema abba abba ccd eed (wobei a und d
weiblichen, b, c und e männlichen
Versausgang aufweisen) und dem Versmaß des Alexandriners.
Das Wolfsbrunnen-Sonett wurde noch von Gottsched als so
mustergültig aufgefaßt, daß er es 1742 in das
siebte Kapitel seiner "Critischen Dichtkunst" aufnahm.12
Formal wie inhaltlich lassen sich grob zwei Teile unterscheiden -
die Quartette, die den Wolfsbrunnen und seine Umgebung
beschreiben, und die Terzette, die in die Auslegung des zuvor
erstellten dichterischen Gemäldes münden.13
Das ganze Sonett besteht aus einem Satz. Er setzt ein mit der
Anrede an den Brunnen, die zu Beginn des ersten Terzetts wieder
aufgegriffen wird. Die beiden Quartette sind (ab dem zweiten
Halbvers) als Parenthese in dieses syntaktische
Gebilde eingefügt. Sie umfassen die descritptio
loci (genauer: die topographia),
stellen also eine reale Landschaft dar, deren Zentrum der Brunnen
bildet. Diese Beschreibung bleibt aber wenig konkret. Opitz
idealisiert die reale Landschaft zum locus
amoenus mit topischem Inventar. Ein von Bergen
geschützter Lustort wird da gezeichnet (V. 1/ 2), mit
Vogelgesang (V.7) und einer Quelle, die durch zwei parallel
gebaute psalmodische Komparativ-Vergleiche gepriesen wird (V. 4),
kurz: ein Ort der Muße für den Kurfürsten und
seine Gemahlin (V. 5/ 6).
Charakteristisch ist dabei, daß Natur und Gesellschaft sich
gegenseitig erhellen.14 So wird der Brunnen schon in Vers
3 mit der Genitiv-Metapher "Printz aller schönen Quell'" auf
den Landesherrn bezogen, und die Durchbrechung des jambischen
Metrums durch das Wort "Printz" spiegelt auf subtile Weise, wie
sich der Fürst vom gewöhnlichen Volk, ja selbst von der
aristokratischen Elite (den "schönen Quell'") abhebt.
Auch das Attribut "edel" (V. 1) und der Vergleich der Berge mit
einer "Burg" (V. 2) verweisen auf die höfische Sphäre.
Umgekehrt wird die Fürstin im Rückbezug auf den Brunnen
charakterisiert. Sie ist die jugendliche "Nymph'" (V. 6), die
lebensspendende griechische Gottheit der Quelle und damit im
übertragenen Sinne zugleich das "Leben" (V. 5) des
Fürsten.
Auch in der sprachlichen Ausformung des Sonetts spiegelt sich die
hierarchische Gesellschaftsordnung. Opitz strukuriert den bis zum
Schluß durchlaufenden komplexen Satz durch ein
hochdifferenziertes Nebensatzgefüge, wobei inhaltliche und
syntaktische Gliederung weitgehend mit den Versgrenzen
übereinstimmen. Die kunstvolle Organisation wird besonders
deutlich im zweiten Quartett mit seinen
asyndetisch gereihten lokalen Nebensätzen,
die durch Anaphern und
Parallelismen aufeinander bezogen sind. Dabei
kommt dem Herrscherpaar fast zwangsläufig der längste
der drei Teilsätze zu (V. 5/ 6), und der Fürst wird in
höchster Stilisierung durch eine Doppelformel aus
Metonymie ("Kron'") und Metapher ("Häupt'")
eingeführt. Die strenge sprachliche Durchorganisation reicht
bis auf die lautliche Ebene, wo etwa die Häufung des Vokals
"u" (in V. 1 und 2) und Alliterationen (z. B. in
V. 2, 3) enge Beziehungen herstellen. Daneben läßt
sich beobachten, wie symmetrisch Opitz die Quartette angeordnet
hat. Im Zentrum stehen das Herrscherpaar (V. 5/ 6) und sein
landschaftliches Pendant, der Brunnen (V. 3/ 4). Die Verse 2 und
7 sind schon auf die Umgebung bezogen, und in den Versen 1 und 8
bilden zwei doppelgliedrige Kopplungen abstrakter Begriffe den
Rahmen. Im zweiten Fall läßt dabei das
Oxymoron "keusche Wollust" keine Zweifel an der
Schicklichkeit der Vergnügungen aufkommen: Der Wolfsbrunnen
ist ebensowenig Ort der Ausschweifung wie einsame
Anachoretenlandschaft. Er verhilft dem Fürsten zur inneren
Ausgeglichenheit, zur Ataraxia im Sinne der stoischen
Ethik.15
Dem Hendiadyoin "Rhu vnd Lust", mit dem dieser
locus amoenus eingangs charakterisiert wurde, entspricht
das lateinische "otium", gleichbedeutend mit Freiheit von
Alltagspflichten, Entspannung und Erbauung. Der Gegenpol dazu
freilich ist stets präsent, zunächst nur
andeutungsweise in den Bergen der Umgebung (V. 2), mit Beginn der
Terzette aber nachdrücklich ins Bewußtsein gerufen
("Gebirg' und Klippen", V. 10 - "Felsen und Gepüsch'", V.
12): ein locus terribilis, den Opitz am Schluß
über ein weiteres Hendiadyoin ("Müh' vnd Arbeit", V.
13) mit den (fürstlichen) Pflichten und Aufgaben, mit dem
lateinischen "negotium", in Verbindung bringt.
Nun aber machen die Terzette auch deutlich, daß locus
amoenus und locus terribilis einander bedingen. Das
"grüne Thal" (V. 9) ist ohne den beschwerlichen Weg
über das Gebirge nicht zu erreichen. Die Landschaft wird
damit für Opitz zum Bild. Er begreift die Natur als
"artifex", als - wie er es mit einer Prolepse
ausdrückt - "künstliche Natur" (V. 11), die
absichtsvoll künstliche Anordnungen hervorbringt. Die
Landschaft bedarf damit der Allegorese. Diese Auslegung wird zu
Beginn der Terzette durch die Zusammenfassung und Akzentuierung
der descriptio loci vorbereitet und in den
Schlußversen vollzogen. Die beiden sentenzhaften
Teilsätze (V. 13/ 14) übertragen die
Antithetik der Landschaft auf das sittliche
Leben. Auch 'otium' und 'negotium' bedingen einander; ja, das
Schöne kann nur deshalb schön sein, so lautet der
pointenhafte Schluß, weil es mit Mühe verbunden ist.
Bedenkt man das engen Zusammenhang zwischen Naturdarstellung und
gesellschaftlicher Ordnung, reicht die Allegorese noch weiter.
Dann ist das Quellenlob gleichzeitig als Mahnung an den
Kurfürsten zu verstehen, als Verpflichtung auf "Müh'
vnd Arbeit", auf seine staatsmännische Pflicht.
Die Schlußzeile des Brunnensonetts von Martin Opitz
könnte als Motto über der langwierigen und
mühsamen Entstehungsgeschichte des vielleicht bekanntesten
Gedichts von Conrad Ferdinand Meyer stehen. Erste Entwürfe
hat der Dichter, glaubt man dem Zeugnis von Meyers Schwester
Elisabeth, während eines Rom-Aufenthalts 1858 unter dem
Eindruck eines Brunnens in der Villa Borghese - vermutlich der
"Fontana ovale" des Giovanni Vasanzio (~ 1550 - 1621) -
skizziert.16 Es sollten elf Jahre vergehen, bis das
Gedicht erstmals publiziert wurde, und weitere 13 Jahre, bis es
im Oktober 1882 im Rahmen des vierten Teils ("Reise") von Meyers
"Gedichte"-Band seine endgültige Gestalt erhielt, die der
Autor auch für weitere Neuauflagen nicht mehr
veränderte. Ein Vergleich der Fassungen zeigt, daß -
wenngleich zwischenzeitlich eine sechzehnzeilige Version
entstanden war - Meyer sein Gedicht immer weiter aufs Wesentliche
reduziert und ständig am sprachlichen Detail gefeilt
hat.
Das vielleicht bemerkenswerteste Resultat des langwierigen
Arbeitsprozesses ist die außergewöhnliche
Übereinstimmung von Darstellung und Dargestelltem. Das nur
achtzeilige Gedicht beschreibt einen Kunstbrunnen aus drei
übereinanderstehenden Marmorschalen, die von einer
Fontäne gespeist werden. Meyer wählt zur Darstellung
des römischen Renaissancebrunnens eine
klassisch-italienische Strophenform, die Stanze, die er freilich
abwandelt. Aus dem italienischen Elfsilbler wird ein vierhebiger
Jambus mit durchweg männlichem Ausgang, aus dem Reimschema
ab ab ab cc werden zwei Kreuzreime (ab ab cd cd).
Die beiden Schlußzeilen erfüllen dennoch weiterhin die
Funktion, das Gedicht abzurunden. Zunächst aber rücken
in sechs Versen die einzelnen Schalen, von oben nach unten, in
den Blick des Betrachters. Jeder Schale sind zwei Verse gewidmet
- Vers 2 und 3 beschreiben das Nehmen und Geben der ersten, Vers
4 und 5 analog der zweiten Schale. Die dritte wird in Vers 6
gefüllt, und da auch sie eine gebende Schale sein muß,
wie es Vers 7 ("jede nimmt und gibt") nahelegt, muß man den
aufsteigenden Strahl im ersten Vers des Gedichts
gleichermaßen auf sie beziehen. Dieser Kreislauf wird noch
durch den Binnenreim "fallend" - "wallend" unterstrichen, der
Vers 1 mit Vers 6 verbindet.17 Wie das Wasser von
Schale zu Schale fließt, so läuft ein einziger Satz
durch das Gedicht, der besonders in den ersten beiden Verspaaren
die Versgrenzen mittels Enjambements gleichsam
überströmt. Der Eindruck des steten
Weiterfließens wird durch den männlichen Versausgang
und den Kreuzreim noch unterstützt. Eine echte Zäsur
findet sich lediglich in der Mitte des Gedichts, nach dem vierten
Vers, wo man sich (auf Höhe der zweiten Schale) auch eine
langsamere Fließgeschwindigkeit des Brunnenwassers
vorstellen darf.
Wie die genaue Entsprechung von Darstellung und Dargestelltem bis
ins sprachliche Detail reicht, kann hier nur an wenigen
Beispielen angedeutet werden. So übersetzen die Anfangsverse
die räumliche Bewegung des Steigens und Fallens in den
Sprechrhythmus. Mit der Inversion des Verbs wird
das jambische Metrum gleich zu Beginn durchbrochen, und die
Betonung der ersten zwei Silben des Gedichts setzt die
Kraftanstrengung des emposteigenden Strahls ebenso sprachlich um
wie die Alliteration "Aufsteigt" - "Strahl". Im
"Strahl" staut sich dann die rhythmische Energie und entlädt
sich im folgenden Halbsatz, der gewissermaßen den zweiten
Vers braucht, um auszulaufen. Auf und Ab sind über
Assonanz ("Strahl" - "fallend") und neuerliche
Inversion aufeinander bezogen, wobei die Voranstellung des
Partizips "fallend" der Rhythmik zusätzlich Schwung
verleiht. Insgesamt stehen im Gedicht drei Partizipien einem
einzigen Adjektiv gegenüber - ein Indiz für Meyers
Bestreben, sein Bild zu dynamisieren. Auch das Aufstauen des
Wassers in den Schalen findet sein sprachliches Äquivalent
in zwei Einschüben (V. 3: Partizip, V. 5: Parenthese), die
den durchlaufenden Satz stocken lassen.
Allerdings: Über Farbe und Größe der Schalen,
über die Umgebung des Brunnens oder ähnliche
realistische Details hat der Leser bisher nichts erfahren. An
einer quasi-fotografischen Abbildung scheint das Gedicht nicht
interessiert. Konsequenterweise lassen sich die Schlußverse
mit den Begriffen 'Konzentration' und 'Abstraktion' erfassen. Sie
lenken den Blick von der einzelnen Schale auf den ganzen Brunnen
und heben das Entscheidende hervor: das ständige Geben und
Nehmen, das Ruhen im Verströmen. Das viermalige "und"
rhythmisiert die beiden Verse und drückt so noch einmal das
Fließen des Wassers aus. Zugleich markiert es als Anapher
Versbeginn und Versmitte und verdeutlicht damit die metrische
Abweichung der Schlußzeile, die auf nur zwei Hebungen
verkürzt ist: Der Rhythmus stockt und drückt so das
Ineinander von 'Strömen' und 'Ruhen' aus. Die metrische
Verkürzung macht beide Ausdrücke zu Signalwörtern,
in denen das Gedicht kulminiert.
In dieser Konzentration auf die Harmonie von Dynamik und Statik
weist das Gedicht, jedoch ohne seine eigene Deutung mitzuliefern,
über den spezifischen Gegenstand hinaus, der seinen
Anlaß dargestellt haben mag. Der Brunnen Conrad Ferdinand
Meyers ist ein Symbol (im Sinne Goethes), das nicht mehr
eindeutig auflösbar ist.18 Mit dieser Spannung
zwischen realistischer und symbolischer Gegenstandssicht
nähert sich der Achtzeiler dem Dinggedicht. Er spricht von
einem Kunstgegenstand, einem Renaissance-Brunnen in Rom, der
Stadt klassischer Kunst, und er beschreibt ihn in durchweg
nüchterner Sprache, aus der jedoch wenige anthropomorphe
Wendungen herausfallen: "sich verschleiernd" (V. 3), "reich" (V.
5), "nimmt und gibt" (V. 7). So wird in diesem Kunstbrunnen
letztlich ein Daseinsprinzip anschaulich, die Dialektik von
Strömen und Ruhen; ja mehr noch, Bewegung und Stillstand
gelangen zur Einheit, zur Harmonie, und zwar mittels der Form des
Brunnens, mittels der Kunst. Meyers Gedicht spricht von Kunst, in
letzter Konsequenz von sich selbst. Es vollzieht in seiner
klassizistischen Gestaltung die Harmonie des Brunnens sprachlich
nach. Die Kunst wird so - im Brunnen, in der dichterischen
Beschreibung des Brunnens - nicht nur zur bloßen Abbildung
des Lebens; dank der Form vermag sie erst dessen Wesen zu
erfassen und ihm seine ideale Gestalt zu geben. Obwohl es die
Form ist, die Kunst vom Leben trennt, wird Leben erst dank ihr
erfahrbar.
Im Vergleich zur äußersten Verknappung in der
nüchternen Brunnendarstellung Meyers wirkt Rilkes Gedicht
einerseits poetischer, andererseits gekünstelter. Obgleich
das lyrische Ich in beiden Gedichten nicht in Erscheinung tritt,
spürt man bei Rilke viel stärker einen Betrachter, der
sich geradezu in den Brunnen hineinzufühlen scheint. Das
liegt an der für den mittleren Rilke spezifischen
Ästhetik, die er in Auseinandersetzung mit dem Pariser
Bildhauer Auguste Rodin herausbildete.19 Während
seiner Tätigkeit als Sekretär Rodins in den Jahren 1905
und 1906 wandte sich der Dichter von der frühen
Erlebnislyrik ab. Wie der Bildhauer plastische Dinge formt,
versuchte Rilke nun, sprachliche "Kunst-Dinge" herzustellen.20 Am Anfang eines langwierigen und
unermüdlichen Arbeitsprozesses steht dabei das Anschauen,
das Rilke als wesentlich für Rodins Schaffen empfand - ein
Anschauen des Objektes, bei dem der Künstler das Modell
gleichsam aus dessen innerstem Wesen heraus zu erfahren trachtet.
Dabei gelangt der Betrachter unbewußt zu einer sich
schlagartig im Objekt offenbarenden Erkenntnis des Dings und
seiner selbst zugleich, bevor das Objekt wieder als etwas
völlig Fremdes erscheint.21 Der Dichter
erfaßt das Wesentliche, die höhere Wirklichkeit des
realen Gegenstandes. Die im "Schauen" gemachte innere Erfahrung
ist jedoch von diesem Gegenstand nicht ablösbar; die
spezifische Symbolik der Rilkeschen "Kunst-Dinge" ist nicht
vollständig zu entschlüsseln. Das Gedicht erschafft
eine eigene Wirklichkeit, das zeitenthobene, ewige
"Kunst-Ding".22
Die "Römische Fontäne" kann als Paradigma des
Rilkeschen Dinggedichts gelten. Das Gedicht entstand im Juli
1906, kurz nach Beendigung der Arbeit bei Rodin, in Paris und
erschien im folgenden Jahr in den "Neuen Gedichten". Das "Ding"
ist, wie der Untertitel angibt, ein Brunnen in der Villa
Borghese, den Rilke während seines Romaufenthaltes 1903/ 04
gesehen hatte, allerdings nicht notwendigerweise derselbe, den
auch Meyer beschrieben hatte, sondern vielleicht einer der
kleineren Brunnen des Parks23. Wörter wie
"neigend" (V. 3), "stand" (V. 4), "ruhig" (V. 9) oder
"tropfenweis" (V. 11) deuten an, daß Rilkes Brunnen
langsamer fließt, und evozieren eine Atmosphäre der
Ruhe und Stille. Das Adverb "leis(e)" (V. 3/ 5/ 13) scheint
geradezu ein Schlüsselwort zu sein. Zum eher statischen
Eindruck trägt auch der Satzbau bei. Das Gedicht besteht aus
einem elliptischen Satz, der lediglich in seinen
Relativsätzen zwei flektierte Verben (V. 4/ 14) aufweist und
im übrigen durch acht Präsens-Partizipien strukturiert
wird. Die Partizipien vermitteln den Eindruck von Zeitlosigkeit;
das "Ding" wird zur zeitenthobenen Sprachskulptur.
Das von Rodin übernommene Arbeitsethos ("toujours
travailler") schlägt sich in der ausgeklügelten
Gestaltung nieder. Rilke greift auf das Sonett zurück, das
er nicht bei Barockdichtern wie Opitz, sondern bei Charles
Baudelaire kennengelernt hatte, der auch Rilkes Symbolbegriff
maßgeblich beeinflußt hat.24 Das durchweg
fünfhebig jambische Metrum wird nur in Vers 3 um eine
Senkung erweitert. Diese bewirkt eine Zäsur ("und aus dem
oberen --- Wasser leis sich neigend"), um die pronominale
(und nicht adjektivische) Bedeutung des Wortes "oberen" zu
verdeutlichen. Die Quartette verwenden denselben Kreuzreim
(abab abab) und sind überdies durch den
rührenden Reim im jeweils letzten Vers aufeinander bezogen.
In den Terzetten (cdd ede) sind Paar- und Kreuzreim
miteinander verschränkt (V. 10 - 14). Die
Waise in Vers 9 hebt die "schöne Schale"
hervor. Die besondere Bedeutung dieser mittleren Brunnenschale
zeigt sich auch darin, daß ihr neun der 14 Verse allein
gewidmet sind (V. 4 - 12).25 Die beiden
Anfangszeilen fassen den Brunnen als Ganzes in den Blick - mit
dem "alten runden Marmorrand" (V. 2) ist pars pro
toto das dritte, unterste Becken gemeint -, lediglich
Vers 3 behandelt die oberste Schale und die zwei
Schlußzeilen das Basisbassin.
Das wohl Eigentümlichste an Rilkes Gedicht ist sein Reichtum
bildhafter, vorwiegend anthropomorpher Ausdrücke. Dadurch
korrespondiert die detailgenaue Beschreibung des unbelebten
"Dings" mit der Innenwelt des Betrachters, und der Brunnen
erhält menschliche Züge. Das beginnt mit einer Reihe
von Verbalmetaphern ("neigend",V. 3 - "wartend", V. 4 - "dem
[...] redenden entgegenschweigend", V. 5). In den Versen 6 - 8
wird das Wasser der mittleren Schale in einem komplexen
Bildgefüge personifiziert. Die hohle Hand
entspricht dem gewölbten Grund des Beckens, in dessen Wasser
sich der Himmel hinter den Bäumen der Umgebung und dem
Schatten der oberen Schale ("Grün" und "Dunkel" als
Farbmetonymien) spiegelt. Unterschwellig erscheint dabei das
mittlere Becken zugleich mystifiziert und problematisiert: Es
schweigt geheimnisvoll, es zeigt den Himmel "heimlich" (V. 6) und
noch dazu wie etwas Unbekanntes, obschon er doch - darauf
verweist die Vergleichspartikel "wie" - dem von oben kommenden
Wasser keineswegs fremd sein kann. Und liegt nicht schon im
Spiegelbild an sich ein illusionäres Moment, da es etwas
vortäuscht, was realiter nicht in ihm vorhanden ist? Derart
ambivalente Charakterisierungen setzen sich in den Versen 9 / 10
fort. Hier geht es um die konzentrische Wellenbewegung, mit denen
sich das Wasser in der mittleren Schale ausbreitet. Daß
dabei mit dem Partizip "verbreitend" das einzige Mal im Gedicht
kein einsilbiges Wort den Versanfang bildet und so die Ruhe in
Sprache umgesetzt wird, zeigt einmal mehr, wie bewußt das
Gedicht konstruiert ist. Klingt aber mit dieser ruhigen
Wasserbewegung "ohne Heimweh" in einer ausdrücklich als
"schön" benannten Schale nicht etwas Selbstgefälliges,
gar Narzißtisches an?
Zumindest die Adjektivmetapher "träumerisch" der Folgezeile
scheint in eine ähnliche Richtung zu weisen. Die
Wasserbewegung wird zum Herabtropfen an der bemoosten Unterseite
verlangsamt, sie kommt endgültig zum Stillstand im letzten
Becken (V. 13 / 14), das metonymisch als "Spiegel" bezeichnet und
damit auf das zweite Quartett zurückbezogen wird. Die
Schlußverse beschreiben recht verklausuliert dieses
unterste Spiegelbild. Es reflektiert die mittlere Schale ("sein
Becken"26) in der durch die fallenden Tropfen
verzerrten Wasseroberfläche so, daß diese gleichsam zu
lächeln beginnt. Die "Übergänge", mit denen das
Sonett schließt, meinen - so Rilke - "ein Spiegeln und
Ringe ziehen innerhalb der Wasserfläche"27.
Im letzten Terzett scheint sich also der Rilke-typische
"Umschlag" zu ereignen - eine Verwandlung sowohl des Betrachters
wie des betrachteten Dings. Dieser Umschlag ist gekennzeichnet
durch die Verdunkelung der Metaphorik und formal dadurch
angedeutet, daß der Diphthong "ei", der zuvor durch sein
17maliges Auftreten die Lautlichkeit des Gedichtes beherrschte,
hier nur noch im Reim des vorletzten Verses vorkommt. Die
Verwandlung betrifft die mittlere Schale, die dem Betrachter
zunächst so hermetisch, geheimnisvoll vorkam, nun aber
plötzlich "leis" zu "lächeln" scheint.
Das Dinggedicht, das das innerste Wesen seines Gegenstandes
erfassen will, entpuppt sich, indem sich der Betrachter in das
Objekt hineinfühlt, in letzter Konsequenz als etwas
höchst Subjektives. Die metaphernreiche Beschreibung findet
präzise, anschauliche Bilder, die aber zugleich über
das Dargestellte hinausweisen. Die Fontäne in der Villa
Borghese ist ein Kunstgegenstand, der in der fast manieristischen
Darstellung Rilkes nur noch artifizieller wirkt. Diese
potenzierte Künstlichkeit scheint das Gedicht zu
reflektieren. Der Brunnen ist charakterisiert durch Ruhe,
Harmonie und Schönheit. Ohne "Heimweh", sehnsuchtslos, ist
das Kunstwerk autonom und zugleich narzißtisch auf sich
selbst bezogen, fast hermetisch. Wo es Erkenntnis vermitteln
könnte, wo es eine andere Wirklichkeit ("Himmel") zeigt,
bleibt es doch illusorisch, ein bloßes Spiegelbild,
schöner Schein. Diese ambivalente Sicht auf das
alltagsenthobene (Sprach-) Kunstwerk bleibt im Schluß
erhalten. Das Lächeln könnte noch einmal die
Selbstverliebtheit des beziehungslos um sich kreisenden
Kunstwerks unterstreichen, es könnte aber auch auf ein
plötzliches Einverständnis von Betrachter und Kunstwerk
deuten. Vielleicht erkennt der anschauende Künstler im
Brunnen ein Abbild seiner eigenen, bloß ästhetischen
Existenz. Vielleicht jedoch lächelt in der schönen
Schale auch das Gedicht über seinen Leser, der dort nach
Bedeutung sucht, wo es lediglich Sprachvirtuosität und
Formulierungslust zu bestaunen gäbe.
Will man nicht nur oberflächliche formale Gemeinsamkeiten konstatieren - etwa, daß alle drei Gedichte aus einem Satz bestehen, oder daß zweimal die Sonettform verwendet wird -, so findet man wenig, was die Brunnengedichte von Opitz, Meyer und Rilke verbindet. Einen Brunnen beschreiben alle drei, doch jedes einen anderen. Bei Opitz ist es ein Naturbrunnen, genauer: eine in der Tradition des epideiktischen Lobgedichts zum locus amoenus idealisierte Landschaft bei Heidelberg. Indem Opitz die Natur als artifex betrachtet, wird der Lustort zur Allegorie für einen moralischen Satz, mit dem der kurfürstliche Adressat zugleich auf seine Aufgaben verpflichtet wird. Die Gedichte Meyers und Rilkes thematisieren eher Fragen der Kunst, und dabei wird ein (vermutlich jeweils anderer) Kunstbrunnen in der Villa Borghese zum Symbol. Meyers klassizistisches Kunstverständnis ist dabei weniger problematisch. Ihm ist die Form ein Hilfsmittel, ja Voraussetzung zur Erkenntnis allgemeiner Daseinsprinzipien. Bei Rilke hingegen ist das Artistische zum Selbstzweck geworden. Die Kunst erschafft das autonome, wirklichkeitsenthobene "Ding", das jedoch nur funktionslos um sich selbst kreist. Paradoxerweise ist dabei das Rilkesche Dinggedicht, das sich einfühlend in seinen Gegenstand versenkt, von allen drei Brunnengedichten dasjenige, das dem Subjektiven und Stimmungshaften klassisch-romantischer Lyrik am nächsten kommt.
Primärtexte
Glossar - Erläuterung
rhetorischer Ausdrücke
Sekundärliteratur
1 So bezieht sich der Begriff auch auf solche Gedichte, die nicht Dinge, sondern Situationen oder Geschehnisse darstellen; und wenn Oppert schreibt, das Dinggedicht sei "auf unpersönliche, episch-objektive Beschreibung eines Seienden angelegt" (Kurt Oppert: "Das Dinggedicht. Eine Kunstform bei Mörike, Meyer und Rilke." In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 4 (1926), S. 747 - 783, hier: S. 747 f.), so trifft das auf Rilkes Gedichte, von denen der Begriff hergeleitet wurde, schwerlich zu. - Auch heute noch erscheint mir die Definition zu wenig genau, um eine Abgrenzung von anderer gegenstandsbezogener Lyrik genügend deutlich zu machen, die - wie etwa im vorliegenden Opitz-Gedicht - über die realistische Abbildung eines Dings hinausgeht. Das Dinggedicht wird noch fast ausschließlich in Abgrenzung von klassisch-romantischer Erlebnislyrik definiert. Es müßten aber auch die spezifischen Formen der Wahrnehmung und Symbolik präzisiert werden, die das Dinggedicht von der nicht-subjektiven, rhetorisch geprägten frühneuzeitlichen Dichtung unterscheidet. - Vgl. auch Fritz Martinis Kritik im Artikel "Dinggedicht" im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. 2. Auflage. Hg. v. Werner Kohlschmidt und Wolfgang Mohr. Bd. I. A - K. Berlin 1958.
2 Etwa bei William Carlos Williams oder Francis Ponge.
3 Wolfgang G. Müller, Art. "Dinggedicht". In : Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hg. von Klaus Weimar. Bd. 1. Berlin/ New York 1997, S. 366 f.
4 Z. B. Théophile Gautier, Leconte de Lisle oder Arthur Rimbaud.
5Bild, Biographie und Werke von Opitz gibt es im Projekt Gutenberg. - Zu Entstehung und Textgeschichte vgl. besonders: Marian Szyrocki: Martin Opitz. München 21974, S. 37 ff., und Wilhelm Kühlmann: Martin Opitz. Deutsche Literatur und deutsche Nation. Herne 1991, S. 28 ff.
6 Das Gedicht lautete in dieser Fassung:
7 So hat er etwa dort, wo die Metrik Apokopen erzwingt, die Auslassungen ab 1625 durch Apostrophe angezeigt, und aus "DV edele Fonteyn" wurde das metrisch korrekte "DV edler Brunnen du". - Eine weitere Änderung betrifft die Ersetzung von "Vögelein" durch "Geflügel"; hier wollte sich der 'poeta doctus' Opitz möglicherweise von der Volksliedtradition absetzen. - Die Poetik ist auch im Projekt Gutenberg veröffentlicht.
8 Vgl. Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts. Bonn 1962, S. 211. Conrady weist auf eine Ode Schedes hin, die wie das Wolfsbrunnen-Gedicht mit einer Anrufung des Brunnens beginnt: "O Argenteolis lucide rivulis / Fons et frigidulis limpide glareis" (Conrady, S. 212). - Es soll, um Mißverständnisse zu vermeiden, an dieser Stelle betont werden, daß selbstverständlich auch Martin Opitz auf Latein dichtete.
9 Opitz' Gedicht
"Vber den Queckbrunnen zum Buntzlaw in Schlesien" stellt
gewissermaßen die Reinform des Quellenlobs dar.
Während der Schluß des Wolfsbrunnen-Gedichts über
den Gegenstand hinausweist, schließt der "Queckbrunnen" mit
der Rühmung des Quells:
10 Der Beginn
lautet:
11 Bei Ronsard, a.a.O.: "Iô! tu seras sans cesse / Des fontaines la princesse", bei Opitz: "Printz aller schönen Quell'". Vgl. außerdem: "PRintz aller hohen Thürn'" in "Vber den Thurn zu Straßburg" und "Princessin aller Städt'" in "An der Liebsten Vaterland" (Martin Opitz: Gesammelte Werke II: Die Werke von 1621 bis 1626. 2. Teil. Hg. v. George Schulz-Behrend. Stuttgart 1979, S. 690 u. S. 693).
12 Vgl. Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Hg. v. Joachim Birke und Brigitte Birke. Sechster Band, zweiter Teil. Versuch einer critischen Dichtkunst. Anderer besonderer Theil. Berlin/New York 1973, S. 227 f.
13 Nimmt man die Überschrift hinzu, ließe sich ein dreistufiger Aufbau mit Parallelen zur Struktur des Emblems konstatieren. Der Titel entspräche der 'inscriptio', die Quartette der 'pictura' und die Terzette der 'subscriptio'. Der Brunnen bzw. die Quelle waren in der zeitgenössischen Emblematik verbreitete Sinnbilder.
14 Vgl. hierzu und im folgenden besonders Rudolf Drux: "Nachgeahmte Natur und vorgestellte Staatsform. Zur Struktur und Funktion der Naturphänomene in der weltlichen Lyrik des Martin Opitz". In: Norbert Mecklenburg (Hg.), Naturlyrik und Gesellschaft. Stuttgart 1977, S. 33 - 44.
15 Vgl. Drux, a.a.O., S. 36.
16 Meyers
Biographie und eine Reihe von Texten liefert das Projekt
Gutenberg. Über Autographenbestände informiert http://library.byu.edu/~rdh/prmss/l-m/meyer.html.
- Vgl. zu Entstehungsgeschichte und Fassungsvergleich: Conrad
Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke. Historisch-kritische
Ausgabe, besorgt von Hans Zeller und Alfred Zäch. 3. Band.
Gedichte. Apparat zu den Abteilungen III und IV. Bern 1967, S.
249 ff. - Klaus Gerth: "'Der römische Brunnen' von Conrad
Ferdinand Meyer". In: Karl Hotz (Hg.), Gedichte aus sieben
Jahrhunderten. Bamberg 1987, S. 167 - 169. - Hans Zeller:
"Abbildung des Spiegelbilds. C. F. Meyers Verhältnis zur
bildenden Kunst am Beispiel des Gedichts 'Der römische
Brunnen'". In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 18 (1968), S.
72 - 80. - Joachim Kröll: "Über den Stil zweier
Gedichte (C. F. Meyer: Römischer Brunnen, R. M. Rilke:
Römische Fontäne)". In: Muttersprache (1953), S. 150 -
155. - Martin Sutton: "C. F. Meyer and R. M. Rilke: Which Roman
fountain?" In: German Life & Letters 40 (1986/ 87), S. 135 -
141. - Die älteste erhaltene Version des Gedichts datiert
von 1860:
17 Vgl. Gerhard F. Probst: "Conrad Ferdinand Meyers Gedicht Der römische Brunnen und Goethes Gesang der Geister über den Wassern". In: The German Quarterly 47 (1974), S. 233 - 244.
18 Zu verschiedenen Interpretationen vgl. z. B.: Robert Hippe: "Vier Brunnengedichte (Conrad Ferdinand Meyer, Rainer Maria Rilke, Hans Carossa, Hermann Hesse)". In: Wirkendes Wort 4 (1953/ 54), S. 268 - 274. - Hans-Ulrich Treichel: "Harmonie der Kräfte". In: Marcel Reich-Ranicki (Hg.), Frankfurter Anthologie. 18. Band. Gedichte und Interpretationen. Frankfurt/ Leipzig 1995, S. 85 - 88. - Gerhard Kaiser: Geschichte der deutschen Lyrik von Heine bis zur Gegenwart. Ein Grundriß in Interpretationen. Erster Teil. Frankfurt/ Main 1991, S. 155 ff. - Hans Zeller: "Abbildung des Spiegelbilds. C. F. Meyers Verhältnis zur bildenden Kunst am Beispiel des Gedichts 'Der römische Brunnen'". In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 18 (1968), S. 72 - 80.
19 Dazu gehören neben dem Italiener Giovanni della Casa (1503-56) die Dichter der Pléiade und auch Opitz. Vgl. folgendes Sonett aus dem VII. Kapitel des "Buches von der Deutschen Poeterey" (z.B. in der Reclam-Ausgabe, hg. von Cornelius Sommer, Stuttgart 1970, S. 54); dazu Verweyen, Komische Intertextualität S. 47f.:
19 Bild, Biographie und Werke Rilkes gibt es im Projekt Gutenberg.
20 Zu Rilkes Konzeption des "Kunst-Dings" vgl.: Rainer Maria Rilke: Gedichte. 1895 bis 1910. Hg. v. Manfred Engel und Ulrich Fülleborn. Frankfurt/ Main 1996 (= R. M. R., Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Band 1), S.841 ff. (= Kommentar zum Mittleren Werk). - Wolfgang Müller: Rainer Maria Rilkes "Neue Gedichte". Vielfältigkeit eines Gedichttypus. Meisenheim 1971. - Martina Krießbach: Rilke und Rodin. Wege einer Erfahrung des Plastischen. Frankfurt/Main 1981.
21 Rilke beschreibt es so: "Das Anschauen ist eine so wunderbare Sache [...]; wir sind mit ihm ganz nach außen gekehrt, aber gerade wenn wirs am meisten sind, scheinen in uns Dinge vor sich zu gehen, die auf das Unbeobachtetsein sehnsüchtig gewartet haben, und während sie sich [...] in uns vollziehen, ohne uns, - wächst in dem Gegenstand draußen ihre Bedeutung heran [...] - ihr einzig möglicher Name, in dem wir das Geschehnis in unserem Innern [...] erkennen, ohne selbst daran heranzureichen, es nur ganz leise [...] unter den Zeichen eines eben noch fremden und schon im nächsten Augenblick aufs neue entfremdeten Dinges begreifend -." (Zitiert nach: Rilke, a.a.O., S. 914 f.)
22 Das "Ding" muß dabei kein Gegenstand sein; auch Menschen oder historische und mythologische Geschehnisse werden von Rilke in der beschriebenen Weise behandelt.
23 Sutton, a.a.O., S. 138 ff., geht in seiner Argumentation davon aus, daß der Betrachter in Rilkes Gedicht bequem in die mittlere Schale hineinsehen kann, ohne seine Position zu verändern.
24 Vgl. Müller, "Der Weg vom Symbolismus", a.a.O., S. 157 ff.
25 Diese Verse sind zudem durch die Häufung von Alliterationen gekennzeichnet (V. 4, 6, 9, 10, 11).
26 Das Possessivpronomen "sein" bezieht sich auf das Subjekt der vorangegangenen Abschnitte, nämlich das Wasser in der mittleren Schale.
27 Zitiert nach Simon, a.a.O., S. 99.